Mit „Disenchantment“ meldet sich Matt Groening mit einer neuen Zeichentrickserie zurück. Der Simpsons und Futurama Erfinder widmet sich in der neuen Netflixserie dem Fantasy Sujet.
Königstochter Bean ist ein rebellisches Teenagermädchen wie sie im Buche steht: Statt dem Wunsch ihres Vaters zu Folgen, die Sitten des Hofes zu lernen, säuft und zockt Bean lieber in der Schenke und stürzt sich in Schlägereien. Um seine Tochter zu bändigen zwingt er sie schließlich in eine Nutz-Heirat mit einem arroganten Prinzen. Gleichzeitig beschwört ein zwielichtiger Geheimbund einen Dämon, Luci, herbei, der Bean negativ beeinflussen soll. Und wäre das nicht schon genug Trubel, stolpert auch noch Elfo mitten in die Hochzeitszeremonie und sorgt für allerlei Chaos. Denn Elfenblut soll das Geheimnis der Unsterblichkeit enthalten und Elfo ist der erste seiner Art seit hunderten von Jahren, den es in die Menschenwelt verschlagen hat.
Die ersten beiden Folgen, in denen es vor allem um die Hochzeit Beans geht, dienen merklich der Einführung der Figuren. Das macht den Einstieg relativ zäh. Daran kann auch der zynische, zotige, ein wenig altbacken wirkende Humor nichts ändern. Der Tonalitätswechsel zwischen lustigem Slapstick und ernsthaften emotionalen Momenten, gelingt selten. Auch bietet der gesamte Figurencast zu wenig Neues, da die Charaktertypen fast deckungsgleich zu Futurama sind. Der unbeholfene, naive junge Typ (Fry/Elfo), der liebenswerte Schurke (Bender/Luci) und die selbstbewusste, kompetente Heldin (Leela/Bean).
Ebenso sind die viele Tropen und Stereotype, die „Disenchantment“ bedient und hier und da unterläuft wenig erfrischend. Zwar nimmt die Serie im Laufe der Staffel etwas mehr Fahrt auf, aber an der Grundstruktur ändert sich wenig. Man spürt, dass Groening Probleme hat, einzelne Folgen mit einem größeren Handlungsbogen zu verbinden. Hat das bei Simpsons noch funktioniert, wirkt es heutzutage unbeholfen und kann die Zuschauerschaft nicht dauerhaft packen.
Auch Groenings Kommentare zu Queerness und Genderfragen können keine humoristische Befreiung für aktuelle Debatten sein und wirken eher wie der verzweifelte Versuch irgendwie aktuell zu bleiben. Am Ende sind es aber doch nur die flachen Witzchen eines alten, weißen cisgender Mannes, der sich über eine größere Vielfalt in Sachen Geschlecht mockiert. Etwa gibt es zwar eine Diebesbande die immer wieder betont, wie wichtig Gleichberechtigung für sie ist und das ihre fiesen Handlungen nichts mit dem spezifischen Geschlecht ihrer Opfer zu tun hat. Jedoch hat diese häufige überdeutliche Betonung eher einen negativen Effekt bei der Zuschauerhaft. Queere Charaktere treten allgemein oft nur in verruchten oder zweifelhaften Kontexten auf. Der Hofalchimist und der erste Berater des Königs halten etwa unter dem Deckmantel einer Geheimorganisation im Stile der Freimaurer keine politischen Versammlungen sondern polyamoröse Sexorgien ab. In einer anderen Szene trifft die Protagonistin auf ein mythologischen Greifwesen. Sehr schnell geht es im Gespräch um das Geschlecht und die Greifin deklariert, dass für Greifen Geschlechter fluide sind und sie derzeit das letzte Weibchen ist. Dennoch wird sie von allen anderen Figuren konstant mit männlichen Pronomen und dem Begriff „Vogelmann“ angesprochen (englisch wie deutsch).
Dabei geht es nun nicht darum, dass man Gender und Queerness nicht auch mit Humor begegnen kann. Entscheidend ist aber wer über wen wie spricht. Humor entsteht durch das Auflösung von Anspannung, die oft kurz zuvor aufgebaut wurde. Wenn dieser Humor jedoch vom Standpunkt der Privilegierten von oben nach unten auf Marginalisierte einschlägt, löst sich keine Spannung, es entsteht zusätzliche Spannung. (Wer mehr zu diesem Aspekt erfahren möchte, sollte sich Hannah Gadsby’s Special „Nanette“ auf Netflix ansehen. Die Australierin dekonstruiert toxischen Humor in Bezug auf Queerness hervorragend.)
Zumindest an den Synchronsprecher*Innen scheitert die Serie nicht, im Deutschen wie im Englischen leisten sie hervorragende Arbeit und sind in Sachen Klangfarbe sehr passend gecastet. Highlights in der englischen Fassung wie Noel Fielding und Matt Berry (IT Crowd) in den Nebenrollen können aber leider nur kurzzeitig erheitern.
Nach dem Ende der ersten Staffel stellt sich durchaus die Frage, ob Bean eine starke weibliche Hauptfigur ist. Das lässt sich nicht eindeutig mit ja oder nein beantworten. Bean ist definitiv nicht passiv, sie hat ihren eigenen Willen und oft Handlungsmacht. Aber auf Charakterebene gibt es wenig zu sehen abseits des rebellischen Teenager-Mädchens. Ihre Probleme, Herausforderungen, Wünsche und Neigungen sind leider allzu stark davon bestimmt wie sich ein Mitte-60-jähriger das vorstellt. Deswegen bleibt viel vorhandenes Potenzial der Figur in der ersten Staffel noch ungenutzt. Gerade im letzten Drittel der Staffel entgleiten Bean auch die Ereignisse und sie gleicht einem Spielball anderer Figuren, die maximal noch reagiert.
Insgesamt bietet „Disenchantment“ nette Unterhaltung, aber auch nicht mehr. Die Serie ist kein Totalausfall aber definitiv auch kein Must-See. Groening konnte damit die hohen Erwartungen nicht erfüllen und entzaubert sich und sein bislang gefeiertes Genie selbst. Traf er mit den Simpsons noch den Nerv mehrer Generationen und konnte er mit Futurama der Sache ein erfolgreiches, äußerst witziges Update unterziehen, gelingt ihm das mit „Disenchantment“ nicht mehr. Sicher wird es einige geben, die den Ton und Inhalt der Serie amüsant und unterhaltsam finden. Aber viele, die von Serien wie „Gravity Falls“, „Steven Universe“ oder „Over the Garden Wall“ besseres gewöhnt sind, werden „Disenchantment“ links liegen lassen.
3 Antworten auf „Disenchantment oder die Entzauberung eines Großmeisters“
Danke für den Beitrag und die sehr schön herausgearbeitete Differenzierung, die es hier im Humor braucht. :)
Demnächst kommt ein sehr gutes Gegenbeispiel dazu ;)
Die weiteren Staffeln machen es besser. Aber ok: gerade die guten Teile der Serie zeigen die … Lücken und Schwächen. Dennoch auf weiter Flur gibt es derzeit nicht viel besseres. (2 2022)