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Genderdebug

Baden-Württemberg und die „Frau der Zukunft“

Liebes Baden-Württemberg,

hier schreibt dir eine Frau aus der Zukunft. Es scheint ja zu deiner Zeit gerade sehr modern zu sein, Frauen mit Mode und Make-up zu stereotypisieren, um ihnen dann einen Berufsweg vorzuschlagen. Mit Bedauern muss ich feststellen, dass auch du auf diesen Zug aufgesprungen bist, denn leider muss ich dir mitteilen, dass dieser Weg sich als Sackgasse herausstellen wird.

IT-Girl

Du bist stolz auf alles, was du erreicht und zu bieten hast und schmückst dich gerne in deiner aktuellen Werbekampagne damit. Ein Schmunzeln möchtest du den Leser_innen abgewinnen und ein Augenzwinkern schickst du wie schon beim „Wir können alles. Außer Hochdeutsch.“ hinterher, wenn du von deinen „IT-Girls“ sprichst.

Wo die Sache mit dem Dialekt teilweise unüberhörbar ist und ich daher lange annahm, dass du schon auf irgendeine Art auch recht haben wirst, liegst du in diesem Fall aber etwas daneben. Baden-Württemberg 2012, wo sind denn die IT-Girls? Sag, wo hast du sie denn versteckt? Ach so, verstehe! Du meinst, du bist in Wirklichkeit ein Trendsetter, wegen Mode und so … Und was du vorgibst, wird demnächst von den Damen* studiert, gelernt, gearbeitet und gelebt. Glaubst du, dass eine Berufsentscheidung sich mit der Wahl der Lippenstiftfarbe vergleichen lässt? Netter Versuch.

Sag, hältst du es für zukunftsorientiert, Frauen* als deinen Besitz anzusehen („unsere IT-Girls“)? Hältst du es für zukunftsorientiert, Frauen* als Girls, also Mädchen* (oder für dich auch Mädle*) zu bezeichnen, nur weil du davon ausgehst, dass sie am Anfang ihres Berufsweges stehen? Sind diese zum Zeitpunkt ihres Studienbeginns nicht schon (beinahe) volljährig und beim Beginn einer Ausbildung schon alt genug, um sich nicht mehr als Mädchen* bezeichnen lassen zu müssen? Ach so, ein Wortspiel, das It-Girl mit der rosa Brille! Sag mal, du sprichst von „gezielter Förderung“: Welche Frau* hat denn nun was von Kampagnen wie dieser?

Du möchtest Frauen* in der IT unterstützen? Ehrlich, wirklich?

Dann sorge dafür, dass Stereotype wie diese und andere überhaupt gar nicht erst gelebt und reproduziert werden, anstatt überlegen witzig zu tun. Denn schaut eine sich mal die Zahlen an, ist die Zeit für solche Witze für Baden-Württemberg noch nicht gekommen, nicht zu deiner Zeit.

Sorge lieber dafür, dass Sexismus an deinen (Hoch-)Schulen und in deinen Betrieben und Einrichtungen nicht länger geduldet wird.

Kümmer‘ dich darum, dass du Mädchen*(!) motivierst und ihnen ein Bild davon vermittelst, dass sie alles schaffen können, egal ob sie pinken Lippenstift tragen oder nicht. Hinterfrage ruhig auch mal all das pinke Spielzeug in den Kinderzimmern deiner Häusle.

Achte darauf, dass keine für ihre Entscheidungen schief angeschaut oder gar sanktioniert wird.

Hör auf, Frauen* und Mädchen* zu unterschätzen und ermutige sie, die Vielseitigkeit und Schönheit in der Informationstechnologie zu entdecken, anstatt diese als Modekollektion zu verkaufen, die nächste Saison wieder out ist. Dazu solltest du vielleicht noch einmal nachschauen, was es überhaupt mit der IT und diesem niedlichen Stecker da auf sich hat und warum nicht alle Frauen* Lippenstift tragen.

Grüße Melanie

PS: Auch bei Frikasch gibt es noch was zum Thema.

Von Melanie

Melanie macht irgendwas mit Computern und hat Femgeeks gegründet.

8 Antworten auf „Baden-Württemberg und die „Frau der Zukunft““

Gut zusammengefasst. Woah, wie ich diese Art von Kampagnen satt habe. Besonders nach diesem furchtbaren Frauen-in-MINT-Video von der EU. Immerhin wurde jenes afaik offiziell wieder runtergenommen.

Hm, komisch. Hab ich gar nicht so wahrgenommen. Für mich war das ein sehr kraftvolles Bild, und ich habe ich mich im positiven Sinne angesprochen gefühlt. Verkürzt gesagt – endlich versteht jemand, dass das Tragen von Lippenstift meinen IQ nicht automatisch um 40 Punkte senkt!

Für mich beinhaltet das ein Versprechen, nämlich dass ich als Frau mit allem was zu mir dazugehört dort ernst genommen und unterstützt werde, wenn ich im IT Bereich arbeite (und nicht schräg angeschaut, für dumm gehalten und Kaffeekochen geschickt werde). Finde ich in der Hinsicht auch ganz anders als dieses EU-Video (zu dem ich allerdings auch nur Beschreibungen gesehen habe), da es doppelt zu lesen ist – entweder als Pinker Lippenstift UND Geekiness, oder als „ihr denkt, Frauen können nur pinken Lippenstift – schaut mal genauer hin, die können verdammt viel“.

Die Frage ist natürlich – können die das Versprechen wirklich einlösen? Bevor ich also zurück in meine Heimat BaWü ziehe, programmier ich lieber ne Runde weiter und verfolge die Diskussionen…

off topic und vernutlich eine dumme Frage: was bedeutet der * hinter Frauen* oder Mädchen*? Warum steht er dort, aber nicht hinter girl?

Das Sternchen, auch Gendersternchen genannt, kann verschieden benutzt werden. Wenn wir es hinter die Worte „Frau“, „Mann“, usw. schreiben, soll es vor allem anzeigen, dass es sich um soziale Konstruktionen handelt (nicht um unveränderliche biologische Wahrheiten).

Ich denke, es steht nicht hinter „Girls“, da dieses hier zitathaft gebraucht wurde (also als Zitat aus der Werbung).

Ich werde in den nächsten Tagen auf jeden Fall noch einen Artikel zum * in unserem Glossar ergänzen.

Hilft dir das weiter?

Bin bei einer Recherche zum Thema „Nerds und Geeks“ (was ist da eigentlich der genaue Unterschied und bezieht sich das nur auf die IT-Szene oder auch auf die, sagen wir mal, Maschinenbauwelt?) auf Euren interessanten Blog gestoßen.

Unterirdisch schlechte Werbung (sexistisch und das ganze Programm rauf und runter) findet man auch im B2B-Bereich, gerne im der metallverarbeitenden Industrie. Ich hab da in unserem Blog eine Rubrik „Werblicher Sondermüll“ aufgemacht. Wen’s interessiert: http://www.reklamekasper.de/category/werblicher-sondermull/

Für einen schwäbischen Maschinenbauer (bei dem auch Software-Nerds (weibl. und männl. tätig sind) haben wir mal mit dem Klischee der schwäbischen Hausfrau gespielt. Mit großem Erfolg bei Frauen und Männern: http://www.reklamekasper.de/allgemein/schwabische-hausfrau-mit-flammenwerfer/

Grüße aus Tübingen

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