Morgens nach dem Aufstehen der erste Blick in den Chat der Wahl (ob Facebook, Twitter oder WhatsApp), bei der Arbeit die hunderten Mails und am Abend der Stream – das Internet begleitet die meisten von uns den ganzen Tag. Komplettes Neuland ist es also nicht mehr, die Regeln und Gesetze werden aber immer noch ausgehandelt. Ob das der Umgang im Internet selbst oder drumherum in den Rahmenbedingungen und dem Zugang ist.
Sichtbarkeit im Internet
In feministischen Blogs wurde in den letzten Wochen die Debatte über Körpernormen, (weggeworfene) Waagen und „Sichdickfühlen“ breit geführt. Antje Schrupp merkt dazu an, ihr Beitrag sei auf dem Blogaggregator Rivva dann auch erschienen – dessen Leser_innen wären der Empfehlung aber kaum gefolgt. Während die Frage bisher lautete, warum feministische Themen selten in automatisierten, „offenen“ Blogrankings auftauchten, sei sie nun: „Warum klicken Nutzer_innen von Rivva nicht auf Beiträge zu Körperpolitik?“ Und vielleicht können Feminist_innen auf die Kanäle anderer Blogger_innen auch verzichten? Claudia Kilian sieht beim Verlinken und Vernetzen aber noch Luft nach oben.
Datenleck bei Facebook
Eine zeitlang nervte Facebook seine Nutzer_innen penetrant mit der Bitte, doch endlich eine Telefonnummer anzugeben – wenn alle dies täten, seien mit dem Handy verlorene Adressbücher kein Problem. An diesem Wochenende passierte das umgekehrte Maleur. Facebook verriet Telefonnummern und E-Mailadressen. „Wahrscheinlich“ aber nur an Personen, die die Nutzenden auch außerhalb von Facebook kennen.
Auch die Länder speichern nun Bestandsdaten
Dass Nachrichten in Facebook verloren gegangen sind, kann in Schleswig-Holstein künftig an einer Gesetzesänderung liegen. Dort hat die regierende Koalition aus SPD, Grünen und SSW eine weitreichende Bestandsdatenauskunft (wir erklärten) beschlossen. Danach können nicht nur PINs von Handies, sondern z.B. auch das Passwort von Facebook abgefragt werden, damit Polizei und Verfassungsschutz sich munter in die Accounts einloggen können. Immerhin gibt es einen Richter_invorbehalt. Mecklenburg-Vorpommern verzichtet darauf ganz. Den Zugang zu den Dropbox-Daten gibt’s für Polizist_innen auf Wunsch. Auch andere Länder ändern gerade ihre Polizeigesetze, so dass es am Ende unübersichtlich sein dürfte, welche Polizei und welcher Verfassungsschutz nun was dürfen. Zusammen genommen kann vermutlich alles überwacht werden.
Alles im Blick mit Prism und Tempora
Mitgelesen wird derweil weltweit fleißig. Stückchen für Stückchen kamen und kommen die Maßnahmen britischer und US-amerikanischer Geheimdienste ans Licht. Gleich für drei Tage erstellt etwa der britische GCHQ eine Sicherungskopie der internationalen Kommunikation und speichert damit auch mal bis zu 21.600 Terabyte am Tag auf seinen Festplatten. Bei dem US-amerikanischen Programm Prism dauerte es eine Weile, aber nun ist klar, dass dank auslegungsfähigen Vorgaben auch die eigenen Bürger_innen bespitzelt werden. Verschlüsselte E-Mails werden einfach so lange gespeichert, bis sie entschlüsselt werden können. Und mit dem Richter_invorbehalt sieht man es offenbar auch nicht so eng.
Alternative Wald?
Wer seine oder ihre Privatsphäre im Internet schützt, macht sich in den Augen der Überwacher_innen umso verdächtiger. Wer keine besonderen Vorkehrungen trifft, ist selbst schuld, wenn Daten verloren gehen. Als Alternative bleibt nur noch der Wald, schlägt da die Zeit vor. Kapitulation vor unüberwachter Überwachung, wie zu Zeiten der DDR. Auf der einen Seite die privaten Datensammelfirmen von Facebook bis Infoscore, auf der anderen die staatliche Schnüffelei von Polizei und Geheimdiensten. Eine Einzelperson ist dazwischen zwar verloren – das Internet aber hat sich inzwischen zum entscheidenden Werkzeug gemausert, aus den Einzelnen Viele zu machen und eine Vielzahl an Widerstandsbewegungen ermöglicht. Außerdem dürfte es nur noch eine Frage der Zeit sein, bis auch die Wälder videoüberwacht werden und die Drohnen kreisen.
Dauernde Überwachung ist Alltag – für Frauen
Das Gefühl von Überwachung und ständiger Einflußnahme der Regierung auf intime Lebensbereiche ist für Frauen keine neue Erfahrung, meint Autumn Whitefield-Madrano in The New Inquiry. Dass jede und jeder eine Meinung zu ihrem Aussehen und Verhalten haben, lernen Mädchen immerhin von kleinauf. Und oft genug bleibt es nicht beim Anschauen, sondern folgt die Rückmeldung auf dem Fuß. Echte Überraschung über die Enthüllungen will sich bei ihr daher nicht einstellen. Das gelte, trotz anders lautender Angaben der Regierung, auch für die Bundesrepublik, meint der ehemalige BND-Chef. Das allgegenwärtige Lauschen sei seit dem zweiten Weltkrieg üblich.
Offener, schneller Zugang dank Netzneutralität?
Aus dem Internet vertreiben lassen, wollen wir uns aber nicht. Im Gegenteil. Am Ende stellt sich die Frage, ob der freie Zugang auch in Zukunft nur von der DSL-Leitung abhängt oder schnelle Webseiten zum Premiumprodukt werden. Der Johannes Scheller, der zur Sicherung der sogenannten Netzneutralität eine Petition gestartet hatte, durfte seine Argumente und Fragen am Montag im Petitionsausschuss vorstellen. Leider blieben die Antworten weich wie Wackelpudding. Die Netzneutralität sei schon lange gegeben, hieß es. Dass im Gesetzesentwurf am Ende doch „für wenig Geld gibt’s halt nur Internet wie 1996“ stehen könnte, stritt niemand ab. Vermutlich läuft es doch auf „das Internet ist uns wichtig, aber“ hinaus. Es wäre schade.