Auf keinen Fall zu jung als Teenager, aber nach 27 ist eventuell auch alles wieder verloren – der richtige Zeitpunkt für eine Schwangerschaft ist schwer zu finden und am Ende vermutlich immer falsch. Doch was ist eigentlich dran an den biologischen Begründungen? Die Journalistin Jean Twenge hat für The Atlantic in die Studien geschaut und stellt fest, dass die bisherige Berichterstattung mehr mit ausgewählter Panikmache zu zun hat, wie zuletzt in der britischen Kampagne „Get Britain fertile“ visualisiert.
So basiert eine oft zitierte Statistik, eine von drei Frauen zwischen 35 und 39 würde nach einem Jahr Versuchen nicht schwanger werden, auf französischen Geburtsregistern von 1670 bis 1830. Einer Studie von 2004 zufolge, liegt die Zahl aber nur bei 18 % (35 bis 39 Jahre) bzw. 14 % (27 bis 34 Jahre). Voraussetzung war zwei Mal heterosexueller Geschlechtsverkehr pro Woche. Für andere, ständig wiederholte Zahlen, findet Twenge keine Grundlage. Dafür verrät ihr Anne Steiner, Forscherin einer weiteren aktuellen Studie, keinen besonders großen Rückgang an Fruchtbarkeit bis zum 40. Lebensjahr beobachten zu können.
Ein Grund für die Panikmache könnten die mit dem Alter der Patient_innen rapide sinkenden Erfolge künstlicher Befruchtung in der Petrischale sein. Allerdings macht es einen Unterschied, ob der Körper gleich ein Dutzend Eier für die künstliche In-Vitro-Befruchtung produzieren muss oder lediglich ein einziges. Ein weiterer Grund könnte sein, dass besonders fruchtbare Menschen – ob geplant oder ungeplant – schnell schwanger werden. Unter den lange Kinderlosen sind die „weniger Fruchtbaren“ dann überrepräsentiert, ohne aber etwas über Fruchtbarkeit allgemein auszusagen.
Eine weitere Zahl aus Twenges Recherchen ist besonders interessant: Für jedes Jahr, das eine Frau ihre Reproduktion verzögert, steigen ihre Karriere-Entlohnungen um 10 % an. Dies passt zur aktuellen Aufschlüsselung des Gender Pay Gap, nach der dieses inzwischen vor allem ein “Moms‘ Pay Gap” ist: Mütter verdienen noch einmal deutlich weniger als kinderlose Frauen.
Weiterhin finden sich in den zur Fruchtbarkeit genannten Studien Hinweise darauf, dass diese auch bei Männern ab dem 35. Lebensjahr abnimmt. Seit Jahren gibt dazu, bzw. höheren Risiken bei Erbkrankheiten, immer wieder neue Berichte. Im gesellschaftlichen Bewußtsein sind sie aber noch nicht angekommen. Die Verantwortung für das richtige Timing beim Kinder kriegen wird weiter als „Frauenproblem“ diskutiert. Besonders in Deutschland ändern sich die Debatte und die Rahmenbedinungen nur langsam. Erst 2011 wurde der Paragraph im Transsexuellengesetz gekippt, der dauerhafte Fortpflanzungsunfähigkeit bei einer Änderung des Geschlechtseintrags vorsah (also: Zwangssterilisation). Statt eines offenen Klimas, das sich an den Bedürfnissen (potentiell) Schwangerer und ihrer Partner_innen orientiert, herrschen derzeit noch konservative Vorstellungen, die Schwangerschaft nur für einen begrenzten Personenkreis in einem sehr kurzen Zeitraum gutheißen.
6 Antworten auf „Beim Kinderwunsch tickt die Uhr nicht nur biologisch“
[…] Text hat den Bericht in the Atlantic zum Thema. Dieser räumt mit einigen Fruchtbarkeitsmythen auf etwa mit dem Bio-Mythos der „tickenden Uhr bei Frauen ab 35“. Wobei es natürlich auch […]
Interessant! Immer wieder schön, wenn vermeintlich unumstößliche Wahrheiten entlarvt werden :)
„Dafür verrät ihr Anne Steiner, Forscherin einer weiteren aktuellen Studie, keinen besonders großen Rückgang an Fruchtbarkeit bis zum 40. Lebensjahr beobachten zu können.“
Das ist für mich als gewollt kinderlose Frau keine Nachricht, die mich besonders begeistert stimmt :/
„Statt eines offenen Klimas, das sich an den Bedürfnissen (potentiell) Schwangerer und ihrer Partner_innen orientiert, herrschen derzeit noch konservative Vorstellungen, die Schwangerschaft nur für einen begrenzten Personenkreis in einem sehr kurzen Zeitraum gutheißen.“
Zustimmung! Zugleich sehe ich aber auch ähnlich konservative Vorstellungen am Werk, wenn eine heterosexuelle cis-weibliche Person nicht vorhat, (biologische) Kinder in die Welt zu setzen. (Wollte das nur mal erwähnen)
Ja, das ist die andere Seite der Debatte. Wenn eine Schwangerschaft gesellschaftlich „erwünscht“ ist, geht damit auch gleich der Druck, tatsächlich Kinder zu haben einher.
Dafür verrät ihr Anne Steiner, Forscherin einer weiteren aktuellen Studie, keinen besonders großen Rückgang an Fruchtbarkeit bis zum 40. Lebensjahr beobachten zu können.
In der Zusammenfassung steht:
Age had little effect on fecundability except for women 35-40 years, for whom it was 0.77 relative to women aged 20-24 years.
Das heißt doch, für ein knappes Viertel der Frauen hat dieser Altersunterschied einen deutlichen Effekt. (Bezogen auf eine Stichprobe von 2,820 Frauen, die es drei Zyklen lang versuchten.)
Fecundability ist nicht Fruchtbarkeit, sondern beschreibt die Wahrscheinlichkeit eines Paares, während eines Zyklus schwanger zu werden. Wenn mensch weiter liest, steht da auch, dass “Frequency of intercourse, use of nonhormonal birth control as the last method, and timing of intercourse” (die Häufigkeit des Geschlechtsverkehrs, Nutzung nicht-hormonaler Verhütung als letzter Methode und das Timinig des Geschlechtsverkehrs) die Wahrscheinlichkeit, schwanger zu werden, erhöhen können. Insbesondere das Timing von Sex wird häufig unterschätzt. Da die fruchtbaren Tage beim Menschen nicht offen erkennbar sind, sondern z.B. durch das Führen eines Zykluskalenders bestimmt werden müssen, verpassen viele selbst bei regelmäßigem Geschlechtsverkehr das Fenster. Hinzu kommt, dass ältere, bzw. länger verbandelte Paare tatsächlich seltener Sex haben. Also: Keine Panik.
Nachtrag: Frauen, die sich mit natürlicher Verhütung / Familienplanung befassen, können auch selbst feststellen, ob sie einen Eisprung haben oder sich in einem anovulatorischen Zyklus befinden. Und beobachten, wie hoch der Anteil der anovulatorischen Zyklen ist.