Der folgende Artikel erschien zu vor bei High on Clichés. Zweisatz war so freundlich uns diesen zur Verfügung zu stellen.
[Bildbeschreibung: Ein Mädchen* mit Hornbrille und langen dunklen Haaren hält eine Hand hoch, auf der „Nerd“ steht. Überschrift: Hasn’t read all 900 issues of batman. Bildunterschrift: neither have you. Ende der Bildbeschreibung]
Meine Suppe¹, Twitter und auch Artikel des feministischen Dunstkreises (ich sage nur femgeeks.de) erwecken mitunter den Eindruck, dass Feminismus und Begeisterung für Computer miteinander einhergehen.
Durch diese Kommunikationskanäle habe ich jedenfalls schon einige Reaktionen auf Nichtwissen kennengelernt. Nichtwissen im Bereich Computer und Technik. – Ich erinnere mich da nur an einen Screenshot auf Soup, der eine Facebook-Umfrage zeigte, in der Facebook und Chromium gleichermaßen als Browser bezeichnet wurden. Ja, ich habe gelacht, denn ich fand den Post witzig-absurd, ich habe es aber nicht reposted.
Besonders Menschen, die sich gerne und viel mit Technik beschäftigen, können oft nur amüsiert den Kopf schütteln, wenn Eltern das Internet-Explorer-Icon vom Desktop löschen, weil sie ein Internet-Verbot durchsetzen wollen oder Großeltern sich beschweren, dass keine Mails ankommen – während keine Internet-Verbindung besteht.
Ich fühle mich dabei jedoch unwohl. Wie bereits gesagt, ich kann mir oft ein Lachen selbst nicht verkneifen oder bin verzweifelt, weil manche Hilfsgesuche älterer Menschen einfach keinen Sinn machen, aber ich bin dennoch der Meinung, dass ein Herabblicken auf Menschen, die eben wenig bis nichts mit Technik zu tun haben, nicht in Ordnung ist und versuche mich entsprechend im Zaum zu halten. Ich sehe nicht, wo der Unterschied liegt zu “Oh, du weißt nicht, wer aktuell Präsident in Frankreich ist? Wohl mangelnde Bildung.” oder “Ich bin schockiert, dass du die Epoche der Romantik so falsch einordnest.” Mit anderen Worten geht die Thematik für mich zurück zu meinem Artikel über Intelligenz. Wissen auf einem Themengebiet – das nicht zufälligerweise stark männlich assoziiert wird (und wenn man in entsprechende Ausbildungsstätten schaut auch weitergetragen wird) – wird als besonders wichtig eingestuft und Ahnungslosigkeit auf dem Gebiet ungläubig belächelt.
Ich bin aber der Meinung, dass Leute sich so wenig mit Computern und technischen Geräten auseinandersetzen dürfen, wie sie wollen. Sie dürfen Fragen stellen wie: “Ist der Computer aus, wenn ich auf den Knopf hier am Bildschirm drücke?” und erwarten, dafür nicht belächelt zu werden. Lernen muss freiwillig sein und sollte Spaß machen. Dass ich inzwischen komische Fragen auf höherem Niveau stelle (“Kann ich mit GIMP nicht einfach per Hand malen?”) ist kein Freifahrtschein grundlegende Fragen als lächerlich abzutun und auf die Fragesteller*innen herabzublicken. Ich habe gut Reden, denn was ich auf spielerische Weise intuitiv lerne, müssten andere stur pauken, weil es einfach nicht ihr Interessengebiet ist.
Was hier natürlich noch fehlt, ist die Analyse, wer da wen belächelt. Ich stelle mal die gewagte These auf, dass Mädchen*, Frauen* und älteren Menschen, die Fehler machen (also den natürlichen Prozess des Lernens nachvollziehen) kritischer betrachtet werden. Abwegig wirkende Fragen werden dann schnell als Zeichen für generelle Unfähigkeit gedeutet – kennt man ja von dieser Demografik nicht anders – und dienen als Anlass, ihren Lernprozess als einen Fehlschlag anzusehen.
Es ist unvermeidlich, dass solche Stereotype am Selbstbild der Betroffenen nagen und zu Teilen unbewusst übernommen werden. Eine selbsterfüllende Prophezeiung nimmt ihren Lauf. Die Mädchen*, die sich in den Programmier-Kurs trauen², verlieren viel schneller das Vertrauen in ihre Fähigkeiten, weil alle Bescheid zu wissen scheinen. Jungen* hingegen lernen problemlösungsorientiert zu denken und blühen auf, wenn sie knobeln müssen³. All das zeigt sich in der Wirkung des stereotype threat: wenn Frauen* an “ihre Rolle” erinnert werden, bevor sie naturwissenschaftliche Aufgaben angehen, sinkt ihre Leistung.
Mit anderen Worten: da wir eine eindeutige Meinung dazu haben, welches Wissen wichtig ist und welche Personen nicht geeignet sind, sich dieses Wissen anzueignen und es zu vergrößern, kreieren wir ein feindliches Umfeld. Wir kreieren ein Umfeld, in dem bestimmte Menschen dem Druck ausgesetzt sind richtig zu “performen”, um unter Beweis zu stellen, dass sie ernst zu nehmen sind – ungleich ihren Geschlechts-/Altersgenoss*innen.
Was ich mir also Wünsche ist ein positiverer und unterstützender Umgang mit dem Lernprozess einer*s jeden. Das heißt sicherlich nicht, dass es verboten ist, Fehler zu korrigieren. Jedoch sollte das auf respektvolle und anspornende Weise geschehen. Und ich wünsche mir auch, dass Menschen grundlegende Fragen zugestanden werden, die für Computer-Veteran*innen schon klar waren, als der Zeugungsakt vollzogen war. Zuletzt wünsche ich mir, dass Menschen zugestanden wird, an einem Thema nicht interessiert zu sein. Das bedeutet keineswegs, dass man unentgeltliche Computerreparatur-Taskforce spielen muss. Es bedeutet, dass man nicht die Nase rümpft, weil eine*r “falsche Interessen” hat und deswegen nie mehr als die Grundlagen zur Bedienung eines Computers beherrschen wird.
Ich sehe nicht ein, dass Wissenslücken als Charakterfehler behandelt werden können und Menschen der Lächerlichkeit preisgeben. Das sagt wie immer am meisten über die aus, die (klassistischen, ableistischen, sexistischen, rassistischen, ageistischen) Spott verbreiten.
1 Soup.io fühlt sich an wie eine Art europäischer Tumblr mit Lade-Schwierigkeiten und einer gesunden Portion Posts, die man ohne Polnisch-Kenntnisse nicht versteht.
2 via @hanhaiwen
3 Der Artikel blendet gesellschaftliche Mechanismen viel zu sehr aus, weswegen ich einiges daran auszusetzen habe. Ich verlinke nur wegen des unterschiedlichen Lernverhaltens.
9 Antworten auf „Dein Hobby ist auch nur ein Hobby“
Super Artikel. Ich musste beim Lesen öfter mal an Blixa Bargelds Halbsatz „Lernen ohne Schuld“ aus Redukt denken. Ich bin bei dem Thema ganz bei Dir. Ich denke auch, dass es möglich sein muss Lernprozesse zu unterstützen ohne Nichtwissen zu diskreditieren.
Deine These kann ich so unterschreiben.
Frauen, bzw. Mädchen wird es nicht leicht gemacht, in diese Bereiche hereinzukommen. Schnell gilt da die Generalvermutung, dass alle Mädchen kein Talent für Mathe und Informatik haben.
Der xkcd stellt das ganz treffen dar…
Als mögliche Lösung dieses Problems ist Estland möglicherweise ein gutes Beispiel:
In Estland lernt jedes Kind verpflichtend programmieren. Möglicherweise stellt sich dabei heraus, dass es genauso viele Jungen, wie Mädchen gibt denen die Informatik liegt (oder eben nicht).
http://www.neurope.eu/article/estonian-kids-learn-coding
Ein sehr schöner Artikel!
Eine persönliche Beobachtung von mir: Leute, die wirklich Ahnung von einem Thema haben und dort extrem viel Wissen und Erfahrung haben, habe ich in den seltensten Fällen bei meinen „blöden/naiven/einfachen Fragen“ als herablassen empfunden.
Allerdings habe ich bei Leuten, die ein großes Halbwissen über ein Thema haben oft schon die Erfahrung machen müssen, dass eine Frage von mir als „blöd“ abgetan wurde.
Letzterer Menschenschlag entspricht wohl den Leuten, auf die sich das Bild bezieht. :)
Danke für den Artikel. Ich ertappe mich auch zu oft bei herablassenden Reaktionen auf einfache Technikfragen. Weit verbreitet, aber kaum problematisiert.
Mir ist auch gleich ein xkcd-strip dazu eingefallen:
http://xkcd.com/1053/
Ich versuche für mich selber immer zwischen man weiß etwas nicht und man weigert sich, es sich erklären zu lassen, zu unterscheiden.
Damit ist man zwar immer noch nicht aus dem Problem raus, dass man Fragen belächelt und auf Menschen herabschaut. Aber es ist auf jeden Fall gegenüber einer Gesellschaft in der jemand, der das zuerst nach der »Prüfungsrelevanz« fragt, als klüger gilt, als jemand der sich vor Neugier verzettelt, ein Fortschritt.
Ich habe den Kommentar geringfügig modifiziert, da er ableistische Sprache enthielt. Bitte etwas sensibler mit der Verwendung von Sprache umgehen. Danke. (Maya)
Ich sehe dabei ehrlichgesagt keinen Fortschritt, denn du ziehst mit dieser Einstellung Deutungsmacht über Interessen und Wünschen anderer an dich.
Du entscheidest, ob du das Gefühl hast, das eine Person etwas nicht weiß oder_und etwas nicht wissen möchte und ziehst damit Rückschlüsse auf dein Verhalten ihr gegenüber. Du entscheidest damit aber auch, ob du es für wichtig hälst, dass die Person diese Dinge weiß oder mindestens wirklich wissen möchte… Du entscheidest also über Relevanz…
Ich vermute wir haben hier einen sehr grundsätzlichen Dissens. Für mich gibt es kein „Recht auf selbstverschuldete Unmündigkeit“. Was es hingegen gibt, ist ein Recht darauf über die Frage welches Wissen relevant ist und welches nicht, zu streiten. Von daher weise ich den Vorwurf, ich würde meine Definition von Allgemeinbildung einfach durchpeitschen, auch zurück.
Um vielleicht anhand eines Beispiels zu erklären, worum es mir geht: Es gibt eine unglaublich hohe Zahl an Ingenieursstudenten (sie waren alle männlich, insbesodere was ihr soziales Geschlecht anging) die sich vehement weigerten, sich mit Fragen der Technikfolgenabschätzung zu beschäftigen. Es sei totalitär ihre Freiheit, sich nicht mit der Frage was Waffensysteme die sie einmal mitkonstruieren würden, einzuschränken.
Nun möchte ich hier niemandem vorwerfen, Partei für solche Leute zu ergreifen, aber ich sehe in den bestehenden Kräfteverhältnissen durchaus die Gefahr, dass es darauf hinauslaufen könnte.
Derailing. Zum Glück habe ich das Thema ja klar abgegrenzt: (da fällt mir auf, ich werde das jetzt garantiert nicht auch noch erklären). Demnach gehört der Seitenarm, den du hier aufmachst, einfach mal nicht hierher.
Eine Erklärung ist auch nicht nötig. Dass eine Antwort auf eine Antwort nichts mehr mit dem Text zu tun hat, auf den sich die erste Antwort bezog, passiert ja leider häufiger. Von daher entschuldige ich mich für die Setzung des Seitenarms.