[Anmerkung zum Inhalt: Transphobie wird thematisiert.]
1293 Tage hat Chelsea Manning vor ihrer Verhandlung schon in Haft gesessen. Über 3 Jahre Haft, in denen sie lange Zeit in Einzelhaft aber unter Dauerüberwachung saß. Über 3 Jahre Haft, in denen sie auch nackt schlafen musste. Über 3 Jahre, die nun auf das Strafmaß von 35 Jahren angerechnet werden.
Nach einem Prozess, der die grundsätzlichen Fragen des Whistleblowing und möglichen Kriegsverbrechen fast völlig ausblendete, geht es jetzt aber nicht plötzlich menschenwürdig weiter. Während des Prozesses hatte Manning noch darauf bestanden, als Mann angesprochen zu werden. Die Frage nach ihrer geschlechtlichen Identität und Orientierung sollte den Prozess nicht überschatten, erkärte ihre Anwältin gestern.
Dennoch wurden die Vorfälle rund um das Auftreten unter dem Namen Breanna angeführt – um das Versagen der Army zu verdeutlichen. Der Fürsorgepflicht gegenüber ihren Soldat_innen sei sie im Falle Manning nicht nachgekommen. Stattdessen herrscht(e) ein hyper-maskulines Klima, in dem es nicht-heterosexuelle und gender-non-conforming Soldat_innen sehr schwer gehabt hätten. Die homophobe „Don’t ask, don’t tell“-Richtlinie wurde erst nach der Inhaftierung Mannings aufgehoben. Eine inhaltliche Auseinandersetzung ihrer Genderidentität wäre mit der Diagnose und Debatte einer Krankheit einhergegangen. So wurde deutlich, dass Manning ihre Situation als belastend empfand, aber keine Unterstützung von Seiten der Army erfuhr.
Die Debatte um Transidentität als Krankheit kommt allerdings nun, nach dem Statement von Manning in der Sendung Today. Außerdem wirft ihr Fall ein Schlaglicht auf die katastrophalen Zustände für Transpersonen in Gefängnissen und noch einmal im Besonderen beim Militär. Manning wird im Hochsicherheitsgefängnis für Männer untergebracht werden. Die Anti-Diskriminierungsrichtlinie umfasst nur race, Rang, Ethnizität und sexuelle Orientierung, so dass selbst die Therapie einer Geschlechtsidentitätsstörung nicht durchgeführt wird – von einer Behandlung abseits einer medizinischen Diagnose ganz zu schweigen.
Ein wahres Bullshitbingo der Vorurteile ergießt sich derweil in der deutsch-sprachigen Wikipedia. Ihre Namensänderung wird dort zu einem Problem, das die Kontrolle eines Ausweisdokuments erfordert, nachher würden es „zuviele“ Änderungen. In Überschreitung jeglicher Kompetenzen wird auch die Inspektion der Geschlechtsorgane gefordert, wobei selbst dann weiter mit männlichen Pronomen auf Manning verwiesen werden müsse. Darauf beharren die Recken der eindeutig unumstößlichen Zweigeschlechtlichkeit standfest. Anders als beispielsweise der britische Guardian zeigen auch deutsch-sprachige Medien keinerlei Respekt für die Bitte, ab sofort als Frau angesprochen zu werden. Vielleicht liegt es auch der Lesekompetenz? Lediglich Heise kriegt es nach dem ersten Absatz hin.
Ein trauriger Tiefpunkt: Das von der Army veröffentlichte Foto von Chelsea Manning mit Perücke wird neben die (weder in den Chat-Logs, noch im Prozess oder im Statement getätigte) Aussage „Er fühlt sich nach eigenen Worten als Frau, gefangen in einem Männerkörper.“ gestellt. Eine 1a Produktion des Klischees der aufdringlichen Transfrau, die ständig alle ungefragt über ihre Geschlechtsidentität informiert. Nicht mal, dass sich Manning gerne einer Hormontherapie unterziehen würde wird im Artikel richtig übersetzt.
Während hierzulande also schon das Lesen und Umsetzen eines Leitfadens zur Berichterstattung über Transpersonen zuviel ist, bittet die Reporterin Meredith Clarke von MSNBC auf Twitter um Feedback und schreibt dazu „wir wollen diese Geschichte richtig erzählen“. Es geht um etwas grundlegendes: Respekt vor den Wünschen und der Würde einer Frau. Einer Frau, die in 25 Jahren schon mehr durchgemacht hat, als die meisten Bürger_innen der westlichen Welt. Dabei hat Chelsea Manning bewiesen, dass sie einer der mutigsten Menschen der Welt ist. Zunächst als sie Dokumente und Videos WikiLeaks übergab, die ihre Arbeitgeberin schwer belasteten und anschließend die volle Verantwortung übernahm. Nun mit ihrer weltweit beachteten Ankündigung, trotz der Aufsicht auf Jahrzehnte im Männergefängnis ohne adäquate Behandlung. Respekt für Chelsea Manning zu zeigen ist das Mindeste.
6 Antworten auf „Wann hört die unwürdige Behandlung von Chelsea Manning auf?“
[…] Helga bei Femgeeks: Wann hört die unwürdige Behandlung von Chelsea Manning auf? […]
[…] Woche gibt es den Linkspam zum Start in das Wochenende. Von gestern könnt ihr dafür noch Helgas Artikel zu Chelsea Manning lesen. Wie jede Woche heißt es: Wir freuen uns über Hinweise, die ihr uns via Kontaktformular, […]
[…] Und Helga fragt: Wann hört die unwürdige Behandlung von Chelsea Manning auf? […]
[…] Autor*innen wollen verhindern, dass der Artikel an den neuen Namen angepasst wird. Das Blog Femgeeks hat darauf bereits hingewiesen. Einige Stilblüten aus dem Artikel, die die offenbare […]
[…] mit gültigem Formular? “Bullshitbingo der Vorturteile” heißt es dazu treffend im Artikel von “Wann hört die unwürdige Behanldung von Chelsea Manning auf?” von Helga bei Femgeeks. In der Wikipedia wurde die Geschlechtsidentität Mannings in […]
[…] und bei der Verwendung von Eigennamen akzeptieren wir ja oft (aber nicht immer, wie der Fall von Chelsea Manning zeigt) die Wünsche des Bezeichneten. Andererseits sind Personalpronomen ein Paradebeispiel für […]