1887 erschien die erste Geschichte um Sherlock Holmes und Dr. Watson – die Idee eines genialen Meisterdetektivs mit Drogenproblemen und einer treuen Begleitung fasziniert allerdings bis heute. „Sherlockiana“ heißt das Fandom. 2012 erfuhr es mit der US-amerikanischen Fernsehserie Elementary eine moderne Neuauflage, die einiges verändert. Denn neben Johnny Lee Miller als Holmes spielt mit Lucy Liu erstmals eine Frau Watson. In einer Fiktion, deren Literaturgesellschaft „The Baker Street Irregulars“ noch bis 1991 Frauen die Mitgliedschaft verwehrte, tatsächlich ein radikaler Schritt. Die Serie handelt über die Kriminalfälle hinaus von Freund_innen, Familie und romantischen Beziehungen und das deutlich diverser als viele andere Serien.
[Achtung, der folgende Teil enthält moderate Spoiler.]
Diverse Besetzungen
Dank Lucy Liu ist Dr. Joan Watson eine tolle, eigenständige, sehr kluge Frau, die Kackscheiße meist auch beim Namen nennt. Außerdem ist sie eine Chinesisch-Amerikanerin deren kultureller Hintergrund und ihre Familie gezeigt werden, ohne dabei (bisher) zum Klischee zu verkommen. Daneben gibt es mit Irene Adler eine weitere, extrem intelligente Frau mit wichtiger Rolle, die allerdings viel zu lange nur wie ein Geist im Raum steht und nicht selbst aktiv auftritt. Es bleibt zu hoffen, dass sie in der zweiten Staffel wiederkommt. Auch das Holmes öfter mal (cis-)sexistische Scheiße sagt und etwa Lippenstifte mit Frauen gleichsetzt, fällt negativ auf. Die Vermieterin der ursprünglichen Geschichte, Ms Hudson, taucht ebenfalls in einer Folge auf. Mit Candis Cayne wird sie von einer Schauspielerin verkörpert, die in Dirty Sexy Money bereits eine Transfrau spielte. Leider bleibt es bei dieser einen Folge. Der Schwarze Detective Marcus Bell ist eine Figur, die in der Serie neu eingeführt wird – und das nach allen Regeln der Stereotypenkunst: Er hat sich aus einer „Ghetto“-Familie hochgearbeitet und sein Bruder ist natürlich Krimineller. Auch Holmes‘ Sponsor Alfredo ist schwarz und hat ebenfalls einen kriminellen Hintergrund. In der Folge 17 gibt es einen schwulen Familienvater als Mordopfer. Dieser wird aber nur als Vehikel benutzt, um herauszufinden, wer seinen Chef vergiftet. Somit wird er gleich doppelt instrumentalisiert – von seinem fiktiven Chef und den realen Serienmacher_innen. Ein Tiefpunkt der Serie.
Sex und Beziehungen
Während in der Version der BBC Sherlock derzeit immer wieder mit homophoben Untertönen betont wird, dass es keine Liebesbeziehung zwischen Holmes und Watson gibt, gibt es auch in Elementary keine. Das bedeutet allerdings eine andere TV-Falle: People of Color, auch Chinesisch-Amerikaner_innen, werden selten in glücklichen Liebesgeschichten dargestellt. Tatsächlich hat Watson in der ersten Staffel keinen Sex, obgleich ihr Holmes dies besorgt bis übergriffig mehrfach ans Herz legt (die komplizierte Beziehung der beiden erläutert sie öfters mit einer Psychologin). Dafür werden mehrere, ausschließlich weiße Exfreunde eingeführt, ohne die Beziehungen neu zu entflammen. Holmes dagegen erobert Zwillingsschwestern und darf dann noch einmal „strippende Einbrecherinnen“ überführen. Soll das Kompensation für sein gebrochenes Herz und seine anhaltende Beschäftigung mit Irene Adler sein? In einer Folge sehen wir dann Freund_innen von Joan, die sie aber wieder und wieder versetzt. Freundschaftliche Beziehungen außerhalb der Arbeit sind mit Holmes wohl nicht zu machen. Ebenso wird ihre Familie gezeigt, zu deren Treffen sich Holmes ungebeten dazu gesellt. Holmes‘ Familie ist nur präsent in Form seines Vaters, bzw. dessen Abwesenheit, die ihn außerordentlich geprägt hat. Seine Mutter spielt bisher keine Rolle.
Zwischen angeborenem Genie und fleißigem Üben
Sherlock wird als absolutes Genie dargestellt und verfügt offensichtlich über Fähigkeiten und tiefes Wissen in vielfältigen Bereichen. In Kombination mit Selbstüberzeugung und Selbstzentriertheit wird hier ein männlich besetztes Stereotyp aufgemacht das auch in anderen Serien und Filmen (z.B. The Big Bang Theory) vorkommt. Zunächst scheint es, als ob es sich bei diesen Fähigkeiten um eine „natürliche“ Gabe handelt, dieser Eindruck verschwindet aber teilweise wieder, indem z.B. das intensive und zeitaufwändige Üben von Lockpicking gezeigt wird. Darüber hinaus wird dies auch durch die Tatsache, dass es für Watson möglich ist, die für die Arbeit notwendigen Fähigkeiten zu erlernen, abgemildert. Dabei wiederum fällt auf, dass mit Watson als besonders intelligenter Chinesisch-Amerikanerin auch wieder ein bestimmtes Stereotyp bedient wird. Mit diesem wird erst mit dem Auftauchen von Irene und dem Bezug zu Moriarty gebrochen.
An die Arbeit
Joan Watson arbeitet zunächst als sober companion – das bedeutet, dass sie bei Holmes einzieht, regelmäßigen Kontakt mit ihm haben muss und seinen Entzugsprozess aktiv unterstützt. Somit hat sie viel mehr „Pflege-Rolle“ als der Original-Watson, wird dafür allerdings auch bezahlt. Später fällt diese Bezahlung weg, ohne dass Holmes Bescheid weiß. Schließlich kann er sie überreden, ebenfalls als Beraterin für die Polizei zu arbeiten und dreht dabei das Verhältnis ein Stück weit um. Nun bildet er sie aus, dafür lässt sie lässt sich nicht als Hausfrau oder Care-Arbeiterin benutzen (“if you want tea, it’s over here” – „wenn Du Tee willst, der steht hier drüben.“) Der Grund, nach dem Tod eines Patienten nicht mehr als Chirurgin zu arbeiten, mutet recht stereotyp an. So endete die Karriere des literarischen männlichen Vorbilds aufgrund einer Kriegsverletzung. Der Chef, Captain Gregson, ist gegenüber den Büchern aufgestiegen und ein glaubwürdiger Polizist, kein Idiot. Er ist auch derjenige, der am ehesten einen (alten) Freund für Holmes darstellt.
Positiv fällt auf an Elementary, dass auf unnötige Gewaltszenen, wie sie in Crime-Serien inzwischen gang und gäbe sind, verzichtet wird. Auch viele „kleine“ Dinge sind bemerkenswert. Watson gibt etwa Zadie Smith als ihre Lieblingsautorin an und Holmes erklärt, was Gaslighting ist. Die Fälle sind eher weniger spannend, besonders im Vergleich zum BBC-Sherlock und bauen auch wenig auf den Originalbüchern auf. Dennoch ist es eine solide Detektiv_in-Serie, mit Anschauempfehlung.
Dieser Artikel ist eine Gemeinschaftsarbeit von Melanie, Helga und Paula, in den Gedanken von @schokopflaster, @frikasch und @baum_glueck einflossen. Elementary kehrt im Herbst mit weiteren Folgen der 1. Staffel auf Sat.1 zurück, in der Schweiz läuft die Serie auf 3+.
3 Antworten auf „Sex, Drogen und Tote – Elementary“
Wie cool ist das denn? :] Vielen Dank für den Tipp (und den Spoiler Alert).
Hier noch eine Ergänzung: Zum Start der Serie hat Fiann bereits über die Pilotfolge geblogt.
[…] bereits bei Elementary sind die Mordfälle nicht immer die verzwicktesten, dennoch handelt es sich um eine willkommene […]