Kategorien
RTFM

#firstworldproblems #blödsinn

Wenn die Schokolade alle ist. Wenn mensch auf vier Partys eingeladen war. Entäuschung über das Wetter. All dies als Tweet oder Statusupdate qualifiziert sich seit einiger Zeit besonders in eher reflektierteren Kreisen dafür ein kleinlautes/ironisches #firstworldproblems angehangen zu bekommen. Jedes Mal, wenn ich diesen Hashtag lese, zucke ich innerlich zusammen.

Der Begriff an sich

Der Begriff first world funktioniert natürlich nur wenn er als Kontrast zu einem anderen Begriff genutzt wird: Dritte Welt. Erst diese Dichotomie macht den Begriff verständlich. Die Verwender_innen wollen dadurch (schätze ich) anzeigen, dass sie sich vollkommen bewusst sind, dass sie privilegiert sind. Doch selbst falls sie den Begriff irgendwie ironisch verwenden, wird damit doch immer wieder diese Auffteilung perpetuiert. Wer sich genauer mit dem Problem beschäftigen möchte, empfehle ich den betreffenden Eintrag in „Afrika und die deutsche Sprache. Ein kritisches Nachschlagewerk“ herausgegeben von Susan Arndt und Antje Hornscheidt.

Aber eigentlich werden die Probleme alle sehr gut deutlich, wenn Katharine Machnik den Begriff „Eine Welt“ erläutert:

Der alternative Begriff „Eine Welt“ geht von den Verpflechtungen aus, die sich aus der Einheit unseres Planeten ergeben […] Darüber hinaus beinhaltet „Eine Welt“ auch die Tatsache, dass der Wohlstand der einen auf dieser Welt zu Lasten von sozial-politischer und ökonomischer Armut der anderen zustande gekommen ist und sich bis in die Gegenwart permanent auf dieser Grundlage reproduziert.

Die Verwendung des Begriffs

Doch nicht nur der Begriff ist problematisch, sondern auch wann und wie er benutzt wird. Denn was sind die Implikationen, wenn ich „Hach vier Party-Einladungen. Nur ein Abend. #firstworldproblems“ schreibe?

Meiner Interpretation nach soll meistens gesagt werden „Ja ja, es gibt schlimmere Probleme auf der Welt, aber mich bewegt gerade xy.“ es schwingen aber noch eine ganze Ansammlung anderer Aussagen mit. Durch die Kennzeichnung #firstworldproblems wird vor allem othering, also die Erschaffung eines „anderen“ betrieben. Die “firstworld-Identität” zeigt Privilegierung an/kreiert eigene Privilegierung, indem das Gegenstück (ohne dass es schwer funktionieren würde) mit den gängigen Klischees belegt wird: Die anderen sind arm und leidend und das immer. Dabei finden natürlich keinerlei Differenzierungen statt, sondern es werden häufig perpetuierte Grenzen weiter verstärkt. Gerecht wird mensch damit keiner „Seite“. Denn weder können sich alle Menschen in den westlichen Staaten die #firstworldproblems leisten, was das ganze auch klassistisch macht, noch gibt es die immer leidende homogene Masse auf der anderen Seite (lies in Afrika, weiten Teilen Asiens und Lateinamerikas).

Die Betitelung grenzt also aus, verstärkt Kontraste und übermalt wichtigte Zusammenhänge. Dann doch lieber mal ohne Hashtag auskommen, denn die Welt ist für ein eben solchen manchmal zu komplex.

__________________________________
Der Artikel ist ursprünglich auf Afrika Wissen Schaft erschienen.

4 Antworten auf „#firstworldproblems #blödsinn“

Ich gebe dir prinzipiell Recht darin, dass solche Dichotomien nicht weiter befördert werden sollten, aber ich denke auch, um diesen Hashtag „abzuschaffen“ bräuchte es eine Alternative, die auch aussagt „ich weiß, dass das kein weltbewegendes Problem ist, aber mich beschäftigt das gerade“. Ich selbst habe diesen Hashtag nie benutzt, aber einige Leute scheinen ja ein Bedürfnis zu haben, genau das auszusagen. Vielleicht wäre es also gut, gleich eine Alternative zu #firstworldproblems anzuregen?

Danke, Charlott, für diese Erläuterung. Ich halte die Verwendung des Hashtags „#firstworldproblems“ auch für sehr problematisch.

Wie wärs stattdessen mit #luxusprobleme? Funktioniert zumindst auf Deutsch auch sehr gut.

Ich glaube nicht, dass man dafür unbedingt eine Alternative anbieten muss. In dem Hash-Tag schwingt ja (mMn) auch eine Menge Eitelkeit mit, alá „Ich denke ja sonst nur über die ganz wichtigen Dinge nach und ich schäme mich jetzt mit sowas zu kommen“.

Man kann seinen Followern sicherlich zutrauen selbst zu verstehen, dass das Nachdenken über Trivialitäten und das Bewusstsein über ganz andere Probleme sich nicht gegenseitig ausschließen.

Und man verhindert gleichzeitig noch, die immer gleichen Stereotype zu verbreiten. Als ob die Menschen in Afrika nicht auch drüber nachdenken würden, zu welcher Party sie gehen.

Ich habe den Hashtag nun auch schon ein paar Mal gesehen, empfand etwas Unbehagen, habe aber ehrlich gesagt kaum darüber nachgedacht. Das rauscht durch die Timeline, wie so vieles andere. Dein Artikel hat das bei mir mal etwas zum Anhalten & Nachdenken gebracht. Sehr nachvollziehbar, sehr auf den Punkt gebracht, finde ich. Vielen Dank.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.