Gestern ist mit dem 32C3 die Jahresabschlussveranstaltung der Hacker und Nerds zuende gegangen. Natanji schildert euch noch ein paar Eindrücke vom letzten Tag, vom Ankommen in der Realität, ein paar Reflektionen und Links zu anderen Berichten vom Congress.
Tag 4: Wie empfinden sich Hacker und was macht die Gesellschaft daraus?
Aufgrund des frühen Auscheckens aus meinem Hostel bin ich heute interessanterweise so früh am CCH wie an keinem anderen Tag. Nach einem kurzen Frühstück im Heaven (die Engel werden auf dem Congress mit kostenlosem vegetarischen und veganen Essen versorgt) setze ich mich in den Vortrag mit dem langen Namen „I feel like a criminal and I have to be god at the same time“, dessen Videoaufzeichnung ich euch gerne ans Herz legen möchte. Die Sprecherin Leonie Maria Tanczer ist Soziologin und forscht im Bereich der „Insecuritisation“, also soweit ich verstanden habe darüber, welche Dinge von einer Gesesellschaft als unsicher wahrgenommen werden und was dann eben Gegenreaktionen erzeugt, die Sicherheit wiederherzustellen. Das Thema IT-Sicherheit ist dabei eine der Möglichkeiten, er wurde allerdings bislang vor allem aus Sicht von Staaten oder Firmen betrachtet und in ihrer Forschung hat sie nun selbstidentifizierten Hackern eine Stimme gegeben und sie zu ihrem Selbstverständnis – und ihrer Einordnung der Welt – befragt. Es geht dabei auch stark um Hacktivism, also Aktivisimus, bei dem legale oder illegale technische Hacker-Methoden genutzt werden, um politischen Druck zu erzeugen.
Den Interviewten ist es beispielsweise sehr wichtig, sich gegen die Vorwürfe des „black hat“-hackings zu verteidigen und die verschiedenen, auch legalen Wege zu betonen. Sie sind unglücklich mit der Außenwirkung, in der sie als bedrohlich dargestellt werden und zudem als pubertierende, vereinsamte Kellerkinder ohne soziale Fähigkeiten, wie es in den Medien immer wieder passiert. Sie wünschen sich, dass ihre eigentlichen Themen tatsächlich von Politiker*innen ernst genommen werden und auf sie gehört wird – was ja etwas ist, was der CCC hier in Deutschland durchaus in Teilen geschafft hat.
Hacker verstehen sich als politisiert und gerade hier in Europa (anders als in den USA) als der IT-Security-Industrie entgegengesetzt, da diese andere Ziele verfolge. Auch Regierungen und Geheimdienste sehen sie nicht als vertrauensvoll an, weil sie eben auch davon profitieren, Sicherheitslücken nicht zu schließen und sie stattdessen selbst ausnutzen zu können.
Wenige der Dinge im Vortrag kommen für mich als unfassbar überraschend an, aber ich finde es wie viele Anwesende ziemlich gut, dass mit dieser Forschung das auch für Menschen deutlicher werden könnte, die diese Community nicht so sehr kennen. Die Vortragende beantwortet auch im Nachgang noch eine Menge Fragen und verteidigt dabei unter anderem auch Standhaft die Sozialwissenschaften, wissend, dass sie bei diesem Publikum einen eher schwierigen Stand haben.
Tag 4: Spontane Treffen, Queersplaining, Abbau und Abschied
Nach dem Vortrag nutze ich noch die letzten Gelegenheiten, um Leute zu treffen, die ich bisher noch gar nicht gesehen hatte. Es ist schon witzig: ich kenne bestimmt 20-30 Personen, die ebenfalls da sind, aber habe mit den wenigsten von ihnen mehr als ein paar Worte gewechselt und bin einigen nicht einmal begegnet. Bei den 12.000 Menschen im CCH ist es eben auch nicht so wahrscheinlich, einfach so auf jemanden zu treffen und selbst wenn, könnte man gedankenverlorenen aneinander vorbei laufen.
Ich habe nachmittags noch eine nette Diskussion mit einem interessierten Menschen, der vollkommen feministisch ungebildet ist und gerne verstehen möchte, was wir beim Queer Feminist Geeks-Assembly überhaupt so machen. Er hat wirklich keine Ahnung, ist sich bei den vom Assembly im CCH ausgehängten „How to introduce yourself“-Pronomen-Plaketen (im dritten Teil der Artikelserie zu sehen) nicht einmal sicher, ob das jetzt ernst gemeint oder ein Trollversuch sein soll. Es scheint irgendwie seine erste Begegnung mit dem Thema zu sein.
Ich nehme mir die Zeit, ihm auf seine Fragen zu antworten und es entwickelt sich ein unglaublich schönes Gespräch, in dem er mir davon erzählt wie sein Umfeld sich über die Initiative lustig macht („Haha! Mein Pronomen ist ab jetzt ’shitlord‘!“), er selbst es aber einfach verstehen will. Er hört sehr gut zu und auch ich versuche nicht, ihn von einer bestimmten Position zu überzeugen, sondern ihm einfach die Lebensrealität einer trans Person wie mir entgegenzubringen. Es macht mir Spaß, dabei viele technische Vergleiche zu nutzen – die Sprache als System, wo der „Bug“ generisches Maskulinum gefunden wird und nun „Sprachhacking“ betrieben wird, um das zu fixen, nur um mal ein Beispiel zu nennen. Wir finden eine Ebene, auf der wir uns verstehen; ich habe aus unerfindlichen Gründen die Energie, mich auch auf seine Gefühle einzulassen (für ihn fühlte es sich als Kind komisch an, dass es den „Girls Day“ gibt und es für ihn keine äquivalenten Veranstaltungen zu geben schien). Ich kann das alles was wir besprechen nicht in seiner Gänze wiedergeben, aber ich finde es großartig.
Für mich zeigt es allgemein ein Grundgefühl, was ich bei diesem Congress endlich mal wieder hatte. Hier bringen Leute ihre coolen Projekte mit, das was ihnen wichtig ist – und wenn du dran vorbeiläufst und du gerne mehr darüber wissen möchtest, sind sie oftmals bereit, dir begeistert davon zu erzählen. Diesmal stelle ich das Projekt Queerfeminismus vor, das mir so unfassbar wichtig ist. Und jemand lässt sich wirklich darauf ein, ist wissbegierig, will das lernen. So macht Queersplaining Spaß.
Gemeinsam mit etwa 10 anderen Verbliebenen bauen wir am späten Nachmittag dann das Queer Feminist Geeks-Assembly ab. Jemand lässt eine hübsche Karte für uns zurück und hach, das war doch echt schön mit diesen Leuten. Ich hoffe sehr, dass wir im nächsten Jahr weiter expandieren werden, und dass ich mir mehr Zeit nehmen werde, um mit den ganzen Leuten auch noch mehr persönlich ins Gespräch zu kommen.
Dann ist es Zeit sich zu verabschieden. Nochmal eine kurze Runde durchs CCH, wenigstens ein paar Personen nochmal drücken können – noch während des Closing Events steige ich in den Zug, die Abschlussparty wird wie jedes Jahr ohne mich stattfinden.
Was es noch so zum Congress im Netz gibt – helft mit!
- Auf der Medien-Seite des CCC könnt ihr euch so ziemlich alle Talks des 32C3 anschauen. Ich benutze den Congress ja seit Jahren eher fürs Menschen treffen als um mir Talks anzuschauen, einfach weil ich die so gut nachholen kann.
- Birgit Rydlewski schreibt in Dahin gehen, wo es weh tut oder die Legitimation entziehen? einige Gedanken zum Congress auf und was sich für sie seit dem 29C3 positiv verändert hat, der u.A. aufgrund des Creeper Move Card-Desasters für viele Menschen ein ziemlicher Tiefpunkt war.
- Anna Müllner schreibt für SciLogs und findet: Man muss sich den Hacker als einen glücklichen Menschen vorstellen. Im kurzen persönlichen Eindruck geht’s auch um das Thema Geschlechtergerechtigkeit. Ihr subjektiver Eindruck trügt an einer Stelle: es gab unter 20 Prozent weibliche Vortragende. [am 04.01. hinzugefügt]
- Michael Seeman schreibt über seine Eindrücke zur Nerdkultur (auch) auf dem Congress, beispielhaft anhand eines Vortrags, der unsinnigen Nerd Pride stilisiert. Zitat: „Die Nerdkultur zeichnet sich vor allem dadurch aus, dass sie alles kritisch reflektiert, außer sich selbst.“ [am 05.01. hinzugefügt]
Wenn ihr noch weitere lesenswerte Beiträge zum 32C3 gefunden habt, dann schreibt sie bitte in die Kommentare – ich ergänze das dann hier im Post. Außerdem freue ich mich, wenn ihr Empfehlungen für Talks habt, über die ich hier noch nichts geschrieben habe.
Klappe zu
Ansonsten: es war mal wieder sehr schön für mich, gleichzeitig unfassbar anstrengend (vor allem durch die Awareness Team-Arbeit) und ich freue mich schon aufs nächste Jahr!
Zum Abschluss hier noch eine kleine Roboterkapelle, die im Foyer des CCH Weihnachtslieder musizierte: