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Das Informatikstudium hat ein Männerproblem

Laura studierte erst Sozialwissenschaften und dann Informatik – letzteres in einem Studiengang für Frauen. Ihren Master bestreitet sie nun inhaltlich sowie menschlich in einem gemischten Umfeld. Gut vier Jahre lang hat sie die Rails Girls Berlin mitorganisiert, auf Twitter hat sie ab und an auch eine Meinung.

Dieser Beitrag basiert auf eigenen Erfahrungen von Laura, den Erfahrungen anderer Menschen im Feld der Informatik und der wissenschaftlichen Forschung, die zu dem Thema seit Jahrzehnten existiert. Quellen sind an vielen Stellen vermerkt, aber es gibt sicherlich noch mehr.

Brauchen Frauen einen anderen Zugang zur Informatik?

tl;dr: Nein, die Informatik brauch einen anderen Zugang zur Gesellschaft.

Wenn wir mit dem Begriff Frauen in der Informatik hantieren, rutschen wir leicht in die Falle, Frauen als das Problem zu sehen – oder zumindest als den Punkt, an dem wir ansetzen müssen. Aber der Informatik mangelt es nicht nur an Frauen – es mangelt auch an People of Color, an Schwarzen Menschen, an Menschen mit Behinderungen, an Menschen aus verschiedenen Altersgruppen & vielen anderen. Anders formuliert: es gibt einen Überschuss an Leuten in der Informatik, die eine sehr ähnliche, mit vielen Privilegien ausgestattete, Lebensrealität teilen. Die Frage, die wir uns also eher stellen wollen, ist: Wie können diese Menschen in der Informatik ihre Involviertheit in Gesellschaft anders begreifen? Wir alle Nutzen Technik – wie kann Informatik ermöglichen, dass alle diese Technologien mitgestalten können? Ein großer Teil dieser Verantwortung für den Wandel liegt also in den Händen derer, die sich bereits in dem Feld bewegen. Sie können aktiv die Selbstdarstellung sowie die Kultur innerhalb der Informatik formen. Blum, Frieze, Hazzan und Dias zeigen in diesem Paper, dass an der Kultur ansetzende Veränderungen konstruktiver sind als jene, die sich auf (vermeintliche) Geschlechterdifferenzen fokussieren.

Warum studieren aktuell so wenige Frauen Informatik?

tl;dr: Weil sie schon seit Jahr(zehnt)en gelernt haben, dass das nichts für sie ist.

Cooper zeigt in seinem 2006 veröffentlichen Paper, dass wir gesellschaftlich in einem „Teufelskreis“ stecken, in dem wir (unterbewusst) davon ausgehen, dass Männer Naturtalente in Technik sind. Daraufhin werden Kindern basierend auf Geschlecht Interessen unterstellt und sie werden verschieden gefördert. Jungs kommen häufiger mit Technologie in Berührung und erhalten mehr Unterstützung dabei. Das wiederum führt zu mehr Erfahrung und Selbstbewusstsein, was im kritischen Pubertätsalter sehr das weitere Interesse prägt. Hier wird das Verständnis davon, was Jungs und Mädchen mögen sollen, sehr relevant. Cooper zeigt, dass sich daraus eine Art computer anxiety bei vielen Mädchen ergibt.

Ein wichtiger Punkt kommt bei Cooper noch dazu: Jungs verstehen ihren Erfolg im Umgang mit Computern als Folge ihrer Fähigkeiten, während Probleme auf äußere Umstände oder Pech zurückgeführt werden. Mädchen hingegen framen ihre Erfolge im Umgang mit Computern aufgrund von Glück oder harter Arbeit, während Probleme Umgang an den eigenen mangelnden Fähigkeiten liegen müssen. Bis zum Studium geht also schon ein großer Teil von Menschen verloren, die sich potenziell für Informatik begeistern könnten, wenn sie genauso selbstverständlichen den Umgang damit lernen würden.

Sind «Hybrid»-Studiengänge wie Medizininformatik oder Bioinformatik für Frauen attraktiver?

tl;dr: Ja! Und für alle anderen Menschen, die Informatik nutzen wollen, um in ihrem Interessensgebiet etwas zu verändern.

Die Carnegie Mellon University in den USA hat nach zwei umfassenden Studien zum eigenen Lehrangebot in der Informatik ihren Anteil an Studentinnen von 8% im Jahr 1995 zu 42% im Jahr 2000 erhöht. Wie? Informatik wurde nicht weiter als Selbstzweck, sondern als Werkzeug vermittelt. Während anfangs hauptsächlich Studenten Informatik belegten, die eine „dreaming in code“-Perspektive hatten, zeigten die wenigen Studentinnen eher einen „computing with a purpose“-Ansatz. Nach Veränderungen im Curriculum, um die Informatik enger an Anwendungsbereiche zu binden, stieg aber nicht nur die Anzahl an Frauen im Fach, sondern generell die Anzahl an Studierenden, die IT als Werkzeug verstehen, mit dem sie Konkretes bewegen können. Hybrid-Studiengänge sind also generell eine gute Idee, aber auch die nicht-hybriden Studiengänge müssen zeigen, dass sie in die Lebensrealität der (potenziellen) Studierenden passen.

Was stört im Informatikstudium?

tl;dr: Aussieben statt gute Lehre, männliches Ego, Konkurrenzgehabe, Vorurteile, Genie-Denken, (Hetero-)Sexismus.

Die Informatik kann es sich eigentlich nicht leisten, früh auszusieben. Dennoch gibt es genug Lehrende, die nicht mal ansatzweise mit didaktischen Fähigkeiten ausgestattet sind und deswegen von Studierenden erwarten, dass sie sich alles selbst beibringen. Das klappt in der Informatik für einige Leute ganz gut, aber viele sind gerade am Anfang des Studiums damit überfordert – vor allem, wenn sie weniger Vorwissen haben. Und es macht auch nicht unbedingt Spaß, alles auf Youtube nachzuholen, was man in der Vorlesung nicht verstanden hat. Darüber hinaus neigen Männer dazu, ihr eigenes (Halb)Wissen selbstsicherer zu präsentieren und sich bei Unwissen nicht die „Blöße“ zu geben, nachzufragen. Ich habe noch nie so wenig Rückfragen an die Lehrenden erlebt wie in den Kursen, in denen hauptsächlich Männer waren. Nicht, dass es keine Fragen gegeben hätte. Es hat sie nur keiner gestellt.

Zwei Phänomene sehe ich bei gemischtgeschlechlichen Kursen (in denen Männer meist deutlich in der Überzahl sind): Tokenism und Stereotype Threat. Tokenism ist (auch) ein psychologisches Phänomen, in dem Menschen nicht als Individuen wahrgenommen werden, wenn Aspekte ihrer Identität zu weniger als einem Drittel in einer Gruppe repräsentiert sind. Beispiel: Wenn ich als eine von zwei Studentinnen in einem Seminar sitze, in dem sonst nur Studenten sind, werden meine Fehler und mein Verhalten nicht als das wahrgenommen, was Laura macht und fragt, sondern als das, was Frauen machen und fragen. Das hat natürlich Konsequenzen dafür, wieviel ich mich traue, auch mal Fehler zu machen – die aber essentiell für’s Lernen sind! Und der Stereotype Threat sorgt dafür, dass Menschen schlechter performen, wenn sie im Vorhinein darauf aufmerksam gemacht werden, dass sie Teil einer Gruppe sind, über die Vorurteile existieren.

Andere Informatikerinnen berichten mir, dass der Konkurrenzdruck unter den wenigen Frauen besonders hoch sein kann, weil sie nicht nur die eigene Kompetenz beweisen müssen, sondern auch das „Cool-Sein“ als Frau – oder trotz des Frau-Seins. Wir kennen diese internalisierte Misogynie aus vielen anderen Kontexten: Wenn Frauen sich an unterdrückerischen Mechanismen beteiligen, um Anerkennung zu erhalten und sich selbst aufzuwerten, indem sie andere sabotieren. Statt sich solidarisch zu zeigen, stechen sie einander aus. Das muss nicht in jedem Studiengang so laufen, wird aber zum Beispiel durch den Fokus auf Konkurrenz statt Kollaboration gefördert.

Ah, und zu guter Letzt: Frauen studieren das Fach nicht, um Männer kennenzulernen. Das scheinen letztere jedoch oft zu denken, sodass es genügend Geschichten von Frauen gibt, die sich einen Freund andichten, weil die Existenz als „Besitz“ eines anderen Mannes eine bekanntermaßen funktionierende Strategie ist, um geiernde Kommilitonen loszuwerden.

Wäre ein Frauen-Studiengang ein Schritt in die richtige oder in die falsche Richtung?

tl;dr: Es ist eine sinnvolle Strategie, sollte aber nie die einzige langfristige Lösung sein.

Die oben genannten Phänomene deuten erst mal an, dass Frauen in einem Raum, in dem sie nicht in der Unterzahl sind, potenziell besser lernen können. Und auch diese Studie über einen Frauenstudiengang spricht sich dafür aus. Für mich war der Frauenstudiengang der einzige Grund, warum ich mich getraut habe, Informatik zu studieren. Und er hat in großem Maße dazu beigetragen, dass ich jetzt im gemischten Master zurecht komme. Ich denke, dass vor allem das Grundstudium ein Raum sein soll, in dem Studis sich auf das Lernen konzentrieren können, ohne ständig mit bewussten oder unbewussten Vorurteilen zu kämpfen.

Und hochschulintern wie -extern reagieren Menschen mit sehr viel Gegenwind auf diese Art von Studiengang. In der oben genannten Arbeit nutzen Knapp und Gransee den Begriff Akzeptanzproblematik. Will sagen: Uns wird permanent vorgeworfen, dass die Kurse einfacher seien, wir weniger könnten, gar keine „richtige Informatik“ machen, etc. Ich habe so einige Gruselgeschichten von Lehrenden, die nicht in der Lage waren, ihre Vorurteile den Studentinnen des monoedukativen Informatikstudiengangs gegenüber zu reflektieren. Es bedarf es also auch viel Aufklärung und einer geschlossenen Haltung der Uni. Auch in gemischten Studiengängen können sich Lern- oder Übungsgruppen für Frauen finden oder gefördert werden. Die Akzeptanzproblematik wird sich aber vermutlich auch hier zeigen. Ich denke, dass ein Frauenstudiengang nicht das ultimative Ziel sein sollte – zumal wir ja festgestellt haben, dass es nicht nur an Frauen mangelt. Aber es kann ein Werkzeug von vielen sein, um zu einer diverseren Informatik zu gelangen.

Fehlen bestimmte Themen im Informatik-Studium, wie z.B. Ethik und soziale Verantwortung?

tl;dr: Hell yes, aber ihr könnt die nicht einfach in ein extra Fach auslagern und euch dann nicht weiter damit auseinandersetzen!

Ethik oder soziale Verantwortung sollte nicht (nur) als herausgelöstes Fach unterrichtet werden, sondern viel mehr in jedem Kurs mitgedacht sein. Security? Hat natürlich ethische Aspekte! Verschlüsselung? Hallo gesellschaftlicher Kontext! Namen von Variablen, Libraries, Kommetierung? So viel zu beachten, so viel falsch zu machen! Es macht viel mehr Sinn, im konkreten Fall darüber zu sprechen, welche ethischen Überlegungen anstehen, wenn wir möchten, dass z.B. Entwickler*innen dieses Denken auch später in der alltäglichen Programmierung integrieren. Schließlich sind gesellschaftliche Fragen nicht losgelöst von der Informatik, sondern Kernpunkte darin!

6 Antworten auf „Das Informatikstudium hat ein Männerproblem“

Hallo Laura,

ich finde den Artikel interessant. Nur am Ende musste ich etwas stützen: Kannst du ein Beispiel für einen ethischen Aspekt von Security nennen? Mir fällt tatsächlich gerade keiner ein.

Grüße
Martin

Hallo Martin

Hier mal nur ein kurzer Gedanke: das Wissen um die Sicherheit von Systemen zu testen kann kann genauso genutzt werden um Systeme zu brechen und unterschiedlichsten Menschen damit zu schaden. Wofür man es einsetzen sollte ist eine ethische Fragestellung. Es gibt z.B. eine Zertifizierung zum „Certified Ethical Hacker“ und die Unterscheidung zwischen Black / Grey / White Hat Hackern.

Hallo Melanie,

danke für deine Erklärung. Die erwähnten Kategorien hatte ich eher als Hacking-Ethik vor Augen und nicht als Ethik in der Security gedacht. Dann weiß ich, was du meinst. :-)

Danke

Martin

Kannst du ein Beispiel für einen ethischen Aspekt von Security nennen? Mir fällt tatsächlich gerade keiner ein.

Weil es auch keinen gibt. Zumindest dann nicht, wenn man davon ausgeht dass Worte eine bestimmte Bedeutung haben. Wenn man natürlich „ethischer Aspekt“ in seiner Bedeutung so weit ausdehnt, dass es schlussendlich irgendwie alles umfasst, dann kann man schon was finden. Aber wie sagte schon der Bösewicht im Pixar Film The Incredibles: „Und wenn schließlich alle incredible sind – dann ist es keiner mehr“.

Wer bei IT-Security, den Namen von Variablen und Libraries und bei Quellcode-Kommentaren zuerst an den gesellschaftlichen Kontext denkt der zeigt damit vor allem eines: Dass er sich für Informatik nicht wirklich interessiert. Funktionale Differenzierung ist die Grundlage für unsere Zivilisation, und sie bringt es mit sich dass es eben unterschiedliche Fachgebiete gibt die sich mit unterschiedlichen Dingen beschäftigen. Der Einwand „aber es hat doch ethische Aspekte“ ist deshalb nicht ungerechtfertigt, aber er sollte am richtigen Platz behandelt werden. Und dieser Platz ist m.E. nicht bei der Ausbildung.
Da geht es nämlich vorrangig (!) darum, die dem Fachgebiet eigenen Begriffe, Probleme und Herangehensweisen zu lernen. In der Informatik sind das beispielsweise: Wie funktioniert ein Compiler? Welche theoretischen Aussagen kann man über die Sicherheit eines gegebenen Programms machen? Welche theoretischen Aussagen kann man über die Laufzeit eines gegebenen Programms machen? Wie funktioniert virtueller Speicher und die Memory Management Unit (MMU)? Welche Angriffskanäle ergeben sich aus dem Konzept? Was ist der Unterschied zwischen funktionaler und imperativer Programmierung und was sind die Vor/Nachteile des jeweiligen Konzepts?

Man kann erkennen, dass solche Themen wie „ethische Aspekte von Security“ oder „gesellschaftlicher Kontext bei der Vergabe von Variablennamen“ in dieser kurzen Liste nicht einmal ansatzweise vorkommen. Wenn der angehende Student ein gewisses Unbehagen verspürt und ihm die gesellschaftlichen Aspekte zu kurz kommen, dann ist das eventuell ein Hinweis dass er besser etwas anderes studieren sollte. Zum Beispiel ein Studium, welches sich mit der Gesellschaft und ihren Wirkmechanismen befasst. Ich weiß auch nicht… Soziologie vielleicht?

Weil Leute ja auch nur entweder das eine oder das andere studieren können und es neben den von dir genannten Themen überhaupt nicht zumutbar ist, auch mal über die gesellschaftlichen Auswirkungen des eigenen Handelns nachzudenken. Ich traue Menschen mehr zu als sich in ein Thema zu verbeissen und alles drum herum auszublenden. Also warum so viele Worte verschwenden, wenn du auch schreiben könntest „I just don’t care“. :)

Newsflash: die Zeit der universalgelehrten ist seit mindestens 200 Jahren vorbei. Unsere ganze schöne Zivilisation baut darauf auf, dass Leute sich in ein bestimmtes Thema verbissen haben und den ganzen Rest ausgeblendet haben. Dass wir hier z.b. Bequem übers Netz kommunizieren und dass du relativ einfach so etwas hochkomplexes wie einen Blog in der Freizeit nebenher betreiben kannst, ist gewiss keine Folge davon, dass die Software Entwickler deren Arbeit du mit großer Selbstverständlichkeit nutzt viel über die gesellschaftlichen Aspekte nachgedacht haben.
In diesem Sinn „i care a lot“, aber halt nicht so wie du dir das vorstellst.

Und ev sind sogar noch mehr Worte nötig, denn deine Antwort wirkt auf mich als hättest du den ganzen Absatz über funktionale Differenzierung einfach überlesen.

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