In der Nacht vom 24. auf den 25. Januar startete auf Twitter ein #aufschrei gegen Sexismus, der schnell große Ausmaße annahm und auch die Mainstreammedien zu mindestens für eine Woche einnahm (wenn auch vor allem als Anlass um weiter Sexismus zu re_produzieren). Unglaublich viele Tweets wurden abgesetzt (und werden es auch immer noch). Doch was wird in diesen wirklich alles gesagt? Lena Schimmel hat sich aufgemacht all die Nachrichten auszuwerten. Im Interview erklärt sie die Idee, die Vorgehensweise und wie mensch sich daran beteiligen kann.
Hallo Lena, du hast die Idee zu #aufschreistat entwickelt – für mich ein perfektes Beispiel für feministisch-geekigen Aktivismus. Wann und wie bist du darauf gekommen?
Das war in den frühen Tagen der #aufschrei-Welle. Ich hatte die Tweets seit den ersten Minuten mit gelesen, und über 2 bis 3 Tage beobachtet, was für eine wichtige Sache da gerade passiert. In der Zeit hatte sich das „Gesicht“ der Aktion schon mehrfach geändert, das heißt, je nachdem, zu welchem Zeitpunkt eine hinein schaute bot sich jeweils ein völlig anderes Bild. Und diese Momentaufnahmen wurden dann für die verschiedensten Argumentationen benutzt. Ich hätte also gerne irgendetwas getan, um einen objektiven Gesamtüberblick zu schaffen.Nur waren es auch am Sonntag (dem 3. Tag seit der Wahl des Hashtags #aufschrei) schon zu viele Tweets, als dass die eine Person allein alle lesen könnte – zumindest wäre sie Monate damit beschäftigt. Da lag es für mich irgendwie nahe, eine Auswertung zu beginnen, bei der jede_r nur einen kleinen Teil der Tweets durchliest und insgesamt ein rundes Bild heraus kommt. Und es sah ganz danach aus, als wenn die dazu nötige Software noch nicht existiert.
Mittlerweile arbeiten ja mehr Personen daran. Wie habt ihr zueinander gefunden und wie organisiert ihr euch?
Ich glaube es war Montag früh, dass ich nach einer Nachtschicht den Blogpost – quasi ein Proposal für #aufschreistat – geschrieben und mit ein paar Tweets angekündigt hatte. Twitter bietet sich da ja am ehesten an, um Gleichgesinnte für etwas zu finden, es sei denn eine hat noch direktere Kanäle zu vielen Zuhörer_leser_innen. Meine eigenen Nachrichten waren da eher kryptisch und der Tweet von @hanhaiwen hatte da eine deutlich bessere Botschaft und Reichweite. Als ich gegen Abend ausgeschlafen hatte, hatte das über Retweets wohl über 20.000 Menschen erreicht und ich hatte so um die 80 Reaktionen – überwiegend direkt per Twitter-Reply, aber auch Twitter-DMs, durch Blog-Kommentare und Mails.Das war sehr schnell klar, dass Twitter zum Zusammenbringen von Menschen toll ist, aber für die weitere Kommunikation und Koordination eine mittelgroße Katastrophe und am ersten Tag ziemlich überfordernd. @akinofftz ist das sehr schnell eingesprungen und hat eine Mailingliste eingerichtet und einen Server für die Entwicklung bereit gestellt, ich habe ein Code-Repository bei GitHub eingerichtet, und schon konnten Diskussion und Entwicklung losgehen.
Kannst du knapp euer technisches Vorgehen erläutern?
Im Grunde sind das vier Schritte:
- Tweets sammeln
- Software entwickeln, mit welcher die Daten „getaggt“ werden, sowie das Schema, nach dem diese Tags verteilt werden sollen.
- Möglichst viele der Tweets von Freiwilligen taggen lassen
- Auf den getaggten Daten statistische und qualitative Analysen durchführen
Punkt 1 und 2 sind beide keine Rocket Science, d.h. eigentlich eher triviale Entwicklungsaufgaben. Trotzdem gab es da viel Hin- und Her, vor allem da es so unüberschaubar viele Methoden gibt, an die Tweets zu kommen, die alle ihre Vor- und Nachteile haben. Da haben wir auch nach ein paar Tagen nochmal bei 0 angefangen, weil sich herausstellte, dass wir da vorher viel zu kompliziert gedacht hatten. Und das selbe lässt sich auch über unser Tagging-Schema sagen. Da hatten wir einen extrem umfangreichen Baum entwickelt, und müssen nochmal von vorn anfangen um etwas kleines, kompaktes zu schaffen.
Schritt 3 ist eher „Fleißarbeit“ – wohl verbunden mit einem großen Teil emotionaler Anstrengung, da sich die Freiwilligen hier durch die wirre Mischung aus schockierenden Tat-Berichten und noch viel mehr Frauenfreindlicher Troll-Kommentare graben müssen.
Im 4. und letzten Schritt kommen dann Auswertungsmethoden zum Einsatz, zu denen ich selbst gar nicht viel sagen kann. Da haben wir diverse Spezialist_innen im Team, die sich darum kümmern.
Seit ihr schon an einem Punkt, wo ihr einige Ergebnisse eurer Arbeit habt?
Die kürzestes, ehrlichste Antwort ist hier wohl: Nein. Leider nicht.
Es gibt zwar schon kleine Nebenprodukte, die irgendwie zeigen, dass wir etwas geschafft haben, wie z.B. diese Grafik. Aber mit den detaillierten, aussagekräftigen Ergebnissen, die da mal heraus kommen sollen, hat das nicht viel zu tun.
Falls noch Menschen mithelfen wollen – ist das noch möglich?
Wie soll es mit #aufschreistat weitergehen?
Derzeit muss ich fast schon sagen: egal wie, Hauptsache, es geht weiter! ;) Die ganze letzte Woche lagen bei mir diverse private Sachen an (teils erfreulich, teils ärgerlich) die mich komplett von der Arbeit an #aufschreistat abgehalten haben, und den anderen im Team ging es vermutlich ähnlich. Wir müssen also erst mal wieder rein kommen.
Natürlich hoffen wir auf möglichst baldige „handfeste“ Ergebnisse: auf die Erkenntnisse, die wir jetzt schon ahnen und noch faktisch belegen wollen, aber auch auf neue Erkenntnisse, die noch aus den Daten erwachsen werden.
Es zeichnet sich auch schon, dass es einige Kunst- und Ausstellungsprojekte mit den Rohdaten – also den Tweets – geben wird, die wir gesammelt haben. Ich denke, die werden wir auch noch ankündigen sobald das konkreter ist.
Auf lange Sicht könnte die Software und Vorgehensweise auch auf andere Twitter-Aktionen angewandt werden, aber das ist Zukunftsmusik und dann vermutlich auch nichts mehr, was primär in meiner Hand liegt.
2 Antworten auf „Das Internet auswerten – Ein Interview zu #aufschreistat“
Bin schon gespannt, wie das weiter geht. Ich find es interessant zu sehen, wie ihr das Projekt angeht und dokumentiert!
[…] statistischen Analyse des #aufschrei begonnen. FemGeeks betrachtet das als perfektes Beispiel für feministisch-geekigen Aktivismus und hat Lena ein paar Fragen dazu […]