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Schisslaweng „Nie genug“ – Ein Rant

Kreative Betätigung als Ventil für Emotionen ist ein legitimes Mittel. Keine Kunstform kommt ohne aus. Klar, eine plötzliche Trennung ist heftig. Sie schmeißt einen aus der Bahn, sie verletzt einen tief. Aber sie entschuldigt oder rechtfertigt nicht sexistische Kackscheisse ins Internet zu kippen. Auch nicht „ironisch“ oder überspitzt.

Genau das hat der Comic Künstler Marvin Clifford in der Folge „Nie genug“ seines autobiographischen Webcomics „Schisslaweng“ nun gemacht: Wir sehen ein glückliches heterosexuelles Pärchen in einer Bar, die Frau spricht die Idee an, die Beziehung in Richtung Polymamorie zu öffnen. Da rotzt die gezeichnete Version von Clifford von der anderen Seite der Theke ein „Hahaha! Bullshtt(sic)“ in ihre Richtung.

Danach folgt eine Schimpftirade auf offene Beziehungen, Männer, die alles mit sich machen lassen und natürlich Frauen. Frauen hätten in einer Beziehung immer das Sagen und könnten sich alles erlauben. Nicht nur das, Frauen würden Männerfreundschaften zerstören und seien die Ursache für ganze Kriege. Trotz versuchter Intervention einer weiteren Figur lässt sich das als betrunken dargestellte Clifford-Abbild nicht bremsen. Auch die Versuche der Gegenrede des Paares schreit er einfach nieder. Frauen gäben nie nach und überhaupt, egal wie ein Mann sich anstellte, er könne es der Frau nie recht machen. Der Monolog gipfelt darin, dass die Clifford-Figur die gesellschaftliche Unterdrückung der Frau rechtfertigt.

„Ihr tut immer so schwach! Dabei gibt’s n Grund warum ihr Frauen inner Gesellschaft benachteiligt werdet! Damit sich die Männer nich eingestehen müssen, dass die Frau in Wirklichkeit schon immer ‚das starke Geschlecht‘ ist und…ihr die Welt in den Händen haltet.“

Aha. Tut uns Frauen schrecklich leid, dass ihr mit eurer fragilen Männlichkeit nicht klar kommt und weibliche Allmachtsfantasien habt. Gerne lassen wir uns unterdrücken, damit es für euch nicht etwa unangenehm wird.

Das Pärchen verlässt entnervt die Bar. Cliffords Begleiter (aus vorherigen Episoden als Verkörperung seiner Hoffnung bekannt), weist die nun in sich zusammengesunkene Clifford-Figur daraufhin, dass das eben Gesagte, „nicht okay“ wäre. Der Comic endet mit den Worten „Ich weiß…ist es nie“ des Clifford-Abbilds.

Warum mich dieser Comic wütend macht? Neben den offensichtlichen sexistischen Aussagen, die Clifford sein gezeichnetes Ich hinausposaunen lässt? Das Ende. Der Gedanke, man könnte alles mögliche ausführlich und detailliert herauskotzen und dann zum Schluss in zwei Panels mit zwei kurzen Sätzen alles revidieren und korrigieren lässt mich an Cliffords Verständnis von Erzählungen zweifeln.

Dabei ist Clifford mitnichen ein Anfänger, im Gegenteil er ist Profi, Dozent für Comics und sein Webcomic wurde zweifach mit Preisen ausgezeichnet. Aber zu glauben, man können mit einem „ist nicht okay – ich weiß“ am Ende die Sache zum Guten drehen, ist absurd-naiv bis grob fahrlässig. So funktioniert Storytelling nicht. 90 Prozent Scheisse lassen sich nicht mit 10 Prozent vermeintlicher Erkenntnis wiedergutmachen. Mal ganz abgesehen von der Außenwirkung.

Die zeigt sich dann auch schön in den Kommentaren unter dem Comic.

„Du sprichst mir aus der Seele.
Und ich war der Meinung ich bin der einzige der so denkt.“

„ich kann das alles sehr gut nachvollziehen. Ein kleines Fünkchen Wahrheit steckt auch darin.
Meine Freundin und ich haben uns am Sonntag getrennt. Man hat so viel getan und so viel Herzblut in die Beziehung investiert und das wird alles mit Füßen getreten. Denn sobald es mir schlecht ging, hat meine Ex es auch nicht geschafft für mich da zu sein. In dem Moment zählten auch nur ihre eigenen Pläne. Es ist schon sehr frustrierend, wenn man plötzlich realisiert, dass der Partner für einen nicht da sein kann. Aus welchen Gründen auch immer.“

„Verdammt hey – er hat so Recht damit! Genauso ist es! Ich fühle mit dir Marv, das trifft meinen Nerv gerade ganz genau!!!“

„Boah, ich stimme Dir voll und ganz zu. Ich verneige mich vor dem Verkünder dieser Wahrheiten. Genau so ist es – vielleicht sogar noch schlimmer. Die Umsetzung ist aber perfekt.

PS: Offene Beziehung = Sie darf rumv….n aber wehe wenn umgekehrt. Das ist zur genüge bekannt.“

 

Ähnliche Kommentare gibt es noch mehr. Unter dem als Beitrag geposteten Comic auf der Jauchegrube Facebook gibt es noch mehr davon. Ein paar wenige Gegenstimmen gibt es auch, aber die konzentrieren sich eher auf das „Männer und Frauen sind gleich schlimm“-Argument. Hier gerne heftiges Augenrollen und genervtes Aufstöhnen meinerseits denken.

Klar, kann man einen Comic über das eigene Privatleben und Beziehungsfrust machen, aber wenn man darin Scheiße über Frauen im Allgemeinen verbreitet, nur weil man von der Freundin verlassen wurde, dann mein Freund, ist das armselig und man spielt „Männerrechtsaktivisten“ (MRAs) und ultra-konservativen Kräften in die Hände.

Wenn man dann noch auf berechtigte Kritik mit „darum geht’s nicht“ reagiert und die Lesekompetenz der kritisierenden Person in Frage stellt, macht man es nur schlimmer. So geschehen im Kommentarbereich auf Facebook. Interessant auch, dass diese ausführlichen Rechtfertigungen und eher spöttischen Antworten nur auf diese Kritik kommt. Die zahlreichen „richtig so!“ und „endlich sagt einer die Wahrheit“ Kommentare bleiben auf der eigenen Homepage wie auf Facebook unbeantwortet. Ich frage mich warum.

Im Großen und Ganzen ist diese Sache mal wieder ein Fall von verletztem/enttäuschtem Nerdboy, der sich für einen netten Kerl hält und sich dann öffentlich über eine Frau auskotzt. Da ist Clifford nicht der erste. Eine Schelmin wer da an seinen Atelier-Kollegen Flix mit „Sag Was “ denkt.

Also, kann man so einen Comic machen? – Klar.

Sollte man ihn veröffentlichen? – Nicht unbedingt, aber wenn man meint.

Muss man ihn unreflektiert gegen sachliche Kritik verteidigen und andere Grölheinis unkommentiert stehen lassen? – Eindeutig nicht.

„Schisslaweng“ gibt es seit 2012. Im Laufe des Comics ist viel passiert, inhaltlich, visuell und anderweitig. Auch wenn die Folgen aufeinander aufbauen und einen Zusammenhang herstellen, steht jede Folge auch für sich alleine. „Nie genug“ von Marvin Clifford ist ein sexistischer Comic. Das macht Marvin Clifford aber nicht zum Sexisten. Gleiches gilt für Flix. Wir alle bauen Mist, mehr als einmal. Wie wir hinterher damit umgehen, vor allem wenn wir darauf aufmerksam gemacht werden, macht den Unterschied.

 

PS: Bevor die Fanboys jetzt ankommen. Du kannst den Inhalt einer Person lieben und sie trotzdem anprangern, wenn sie problematische Dinge tut. Wenn gute Menschen rassistische/sexistische/ableistische/transfeindliche/homofeindliche Dinge tun, korrigiere ich sie, weil ich glaube, dass es gute Menschen sind.

 

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