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Genderdebug

#gruseldate

Dies ist ein Gastbeitrag, der durch eine Gastbloggerin für Femgeeks angefertigt wurde. Kurze Zeit später erhielt Femgeeks selbst eine Kooperationsanfrage von betterDate. An dieser Stelle daher: Vielen Dank, wir haben sehr gelacht!

Vor einiger Zeit bin ich auf die Dating-Plattform betterDate gestoßen. Normalerweise kann ich mit solchen Plattformen nur wenig anfangen (die Erwartungshaltung der Menschen, die ich kennenlerne, schreckt mich ab), entsprechend vergesse ich sie meist direkt wieder. Normalerweise würde ich mich erst recht nicht anmelden. BetterDate fiel mir allerdings direkt auf. Der Grund dafür? Die Dating-Analogie, die mich spontan zum Hashtag #gruseldate inspirierte.

Frauen sind Shopaholics und Männer sind Produkte.

Passend dazu der Werbespruch „Wo Frauen Männer shoppen“ sowie ein Bild auf der Startseite, das vier Frauen um einen im Einkaufswagen sitzenden Mann zeigt. Alle fünf weiß. Alle fünf entsprechen den gängigen Schönheitsidealen. Die Anmeldung ist für Shopaholics gratis, für Produkte ironischerweise nicht (wer shoppt hier nun wen?).

Das Werbevideo bezeichnet Shopping und Männer als die zwei schönsten Nebensachen der Welt einer Frau. Johlend fällt eine Horde von kichernden Weibchen in den Männershop ein, reißt sich wortwörtlich um die schönsten Exemplare, um mit ihnen im Einkaufswagen zur Kasse zu gehen. Wie schon beim Foto ist die Bandbreite der dargestellten Körpertypen extrem schmal, und das bekannte Phänomen anatomisch schädlicher Körperhaltung zwecks vermeintlicher Attraktivitätssteigerung dargestellter Frauen tritt hier auf.

Unterm Strich kommen bei dieser Analogie weder die Frauen noch Männer besonders gut weg. Die gesamten Beschreibungen strotzen nur vor brechreizinduzierenden Geschlechterstereotypen, die binäre Geschlechtervorstellungen ein für alle Male zementieren. Es gibt keine Produkte, die gleichzeitig auch shoppen (oder Shopaholics, die sich auch verkaufen).

Wie weit ziehen die das durch?

Einmal angemeldet kommt schon ein gewisses Supermarktgefühl auf. Begrüßt werde ich mit „Herzlich Willkommen im betterDate-Kaufrausch! Viele tolle Produkte warten auf dich!“, sowie einer Liste einiger „frisch eingetroffener“ Produkte. Außerdem kann ich gezielt nach Produkten suchen und neben Kriterien wie Alter, Wohnort und Rauch/Trinkverhalten auch nach Figur, Haarfarbe, Ethnie und Bildung filtern. Beim Ethnienfilter kriege ich Brechreiz und verspüre den Wunsch, Menschen wegzufiltern, die danach filtern – aber das geht leider nicht.

Überhaupt sehe ich überall nur Produkte. Von anderen Shopaholics fehlt jede Spur. Die soll ich ja auch nicht sehen. Schade eigentlich. Ich hätte ja erwartet, dass Datingplattformen aus diesem Jahrtausend aufgeklärt genug sind, um über heterosexuelle Paarbeziehungen hinaus auch andere Beziehungsformen zu unterstützen. Aber klar, würde ja die Analogie kaputtmachen wenn sich z.B. plötzlich Produkte oder Shopaholics gegenseitig kaufen würden.

Wenn frau sich nun also das Profil die Produktbeschreibung eines Manns ansieht, steht da zum Beispiel „Jonathan[1] sucht einen festen Partner“. Hier wird also eine nicht-inklusive Plattform geschaffen, aber die Macher_innen schaffen es nicht einmal, dort richtig zu gendern, wo das Geschlecht mal ausnahmensweise wirklich klar ist.

Wie sieht nun also das Dasein als Shopaholic aus? Ich kann durch die Regale streifen und Produkte in meinen Einkaufswagen legen. Ab diesem Zeitpunkt dürfen mich die Produkte kontaktieren. Ich hingegen darf das sofort – falls ich das tue, dürfen sie mich ebenfalls kontaktieren. Um als Produkt einen Kontakt zu initiieren, kann man(n) sich auf meine Einkaufsliste setzen. Ich bekomme dann die Mail

„Check jetzt seine Produktdetails und entscheide, ob er ein Must-Have ist oder doch nur ein Ladenhüter.“

Ist der Kontakt einmal hergestellt, werden alle Interaktionen im Sprechblasenstil dargestellt. Natürlich sind die Sprechblasen der Jungen blau und die der Mädchen rosa, wie im Spielzeugregal und der Klamottenabteilung für Kinder.

Wie wohl auf den meisten Dating-Plattformen (?) gibt es ein Hot-or-Not-Spiel, in dem frau (vermutlich auch mann) Fotos nach ja-nein-vielleicht sortieren kann. Alternativ dazu gibt es die in meinen Augen deutlich angenehmere Möglichkeit des Date-Duells. Shopaholics und Produkte können in ihrem Profil Date-Vorschläge abgeben. Im Date-Duell stehen dann zwei Vorschläge (ohne Nennung der Vorschlagenden), zwischen denen mensch abstimmen kann.

Innerhalb weniger Tage habe ich eine Menge Produkte auf meiner Einkaufsliste. Das Alter rangiert von drei Jahre jünger als ich (26) bis hin zu doppelt so alt. In den Einkaufswagen schaffen es die Wenigsten. Einige (erschreckend viele!) fallen erstmal aufgrund des Altersunterschieds weg, andere schaffen es, sich aufgrund ihres Profils zu disqualifizieren. Gerade die Frage, was mensch mit 10 Mio. Euro anfangen würde, war da sehr aufschlussreich. Von (zu mir) inkompatibler Lebenseinstellungen wie „Aufhören zu Arbeiten“ bis zu diskriminierender Kackscheiße wie „egal was, nur nicht in Griechenland investieren“ war da reichlich Gesichtspalmenpotenzial.

Andere haben es erst nach ihrer Ankunft in meinem Einkaufswagen geschafft, mich zu irritieren. Da wäre zum Beispiel Paul, der wenig Informationen im Profil preisgibt, aber dann ohne Umschweife in der ersten Nachricht ein Date vorschlägt (und sonst nichts schreibt). Oder eben auch Sebastian, der mir in seiner ersten Nachricht „auf Knien dankt“, dass ich ihn „erworben habe“ und der will, „dass die Frau bestimmt“. Ja, ich bin eine „starke“ Frau, aber muss ich deswegen alles entscheiden?

Zu Gute halten muss ich der Plattform, dass ich als Frau* nicht so viel Angst vor unerwünschter Aufmerksamkeit haben muss, wie an anderen Orten. Wenn mir jemand unangenehm wird, kann ich ihn aus dem Einkaufswagen streichen (blocken) und fortan nicht mehr belästigt werden. Gerade als Dating-Plattform-Neuling hat mich selbst ein „Chris hat dein Profil besucht“ oder „Manuel hat sich auf deine Einkaufsliste gesetzt“ mehr eingeschüchtert als gefreut.

Auch positiv anzumerken ist der Verhaltenskodex (der gerne prominenter verlinkt sein dürfte), aber sollte eigentlich selbstverständlich sein und verdient keine Kekse.

Fazit

Insgesamt überzeugt mich betterDate nicht. Zwar kommt das „die Frauen entscheiden“ auf den ersten Blick emanzipiert daher, aber die gesamte (binäre) Darstellung der Geschlechter strotzt nur so vor Stereotypen und wirkt auch mich einfach nur abstoßend.

Vielleicht ist es für den einen oder anderen Maskulinisten heilsam, einmal am eigenen Leib zu erfahren, wie es sich anfühlt, objektiviert zu werden?
Vielleicht ist das Ganze als eine Art Safe Space für Frauen auch ganz sinnvoll?
Ich weiß es nicht.

Liebe Macher_innen von betterDate,
herzlichen Glückwunsch! Ihr habt es geschafft, mich mit der provokativen Idee neugierig zu machen! Allerdings habt ihr es auch geschafft, das ganze so gruselig zu gestalten, dass ich keine große Motivation habe, auf eurer Plattform auf Partnersuche zu gehen.
Ich melde mich dann mal wieder ab.
Liebe Grüße

Eine Shopaholic

[1] Namen sind willkürlich gewählt

2 Antworten auf „#gruseldate“

Was ich nicht verstehe: was ist an dem Wunsch, nicht mehr Arbeiten zu müssen, abstoßend? Arbeit gehört zu den größten Schädigungen dieser Gesellschaft

Ich schrieb ja nicht, dass ich diesen Wunsch verteufele, sondern lediglich, dass die Lebenseinstellung zu *mir* inkompatibel ist. Zu mir, als sehr aktive Person, die es mag, eine sinnvolle Beschäftigung zu haben. Klar ist nicht jede Arbeit toll, aber *ich persönlich* habe zum Ziel, eine Arbeit zu finden, die mir Spass macht und mich erfüllt. Idealerweise reicht sie auch aus, um meine Rechnungen zu begleichen. Von einer Partnerschaft erwarte ich da ein Stück weit Kompatibilität.

Mit einer weiteren Ausführung, was er sich stattdessen vorstellt, mit seinem Leben zu tun, hätte meine Reaktion da anders ausgesehen. Ob das nun eine Weltreise ist, oder eine tolle aber schlecht bezahlte Arbeit (der er jetzt nur nicht nachgeht, weil es ihm finanziell zu riskant ist) – das ist mir fast egal.

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